Hans-Hermann Mahnken - Der Geist ist aus der Flasche

 

Der Geist ist aus der Flasche

In der jüngsten Vergangenheit hatte ich immer wieder ein-mal etwas über „KI-Entwicklung“ in den Medien gelesen oder gehört, jedoch nur wenig Interesse dafür aufbringen können. Die publizierten Berichte hatten durchweg euphorisch geklungen: Zum Nutzen der Menschheit werde an der Entwicklung einer Künstlichen Intelligenz (KI) gearbeitet, deren un-glaubliches Potenzial beispielsweise in der Medizin bei der Entwicklung neuer, hochwirksamer Medikamente oder bei der Eindämmung des Klimawandels eingesetzt werden könne.

Ende letzten Jahres entnahm ich Medienberichten, dass eine bisher ausschließlich Fachleuten vorbehaltene Technik durch das Unternehmen OpenAI der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei. Binnen weniger Tage hätten sich eine Million Menschen für den Chatbot registrieren lassen – im Januar 2023 waren es bereits hundert Millionen Nutzer . Der Computer könne die gestellten Aufgaben bzw. Fragen, die einfach über ein Textfeld eingetippt werden, verstehen und Antworten geben. ChatGPT schreibe inzwischen Schülern die Hausaufgaben, Studenten die Diplomarbeiten und sogar literarische Texte und Gedichte.
Im Frühjahr 2023 berichteten verschiedene Medien von einem offenen Brief, in dem vor tiefgreifenden Risiken für die Gesellschaft und die Menschheit durch KI gewarnt werde. Die Unterzeichnenden seien Vertreter der wichtigsten KI-Unternehmen sowie führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie forderten ein sechsmonatiges Moratorium für das Training bestimmter KI-Modelle, um die Dy-namik im „Wettrüsten“ einiger weniger Unternehmen um die KI-Vorherrschaft auf dem Weltmarkt kurzfristig zu verän-dern, damit diese die notwendige Zeit hätten, Sicherheitsmechanismen zu entwickeln. Parallel sollten Regierungen diese Zeit dazu nutzen, um für mehr Transparenz und vor allem verbindliche gesetzliche Rahmenbedingungen zu sorgen.

Was ist da auf der Weltbühne scheinbar so plötzlich erschie-nen? Um mir als Laie eine Vorstellung davon zu machen, kann ich nur auf die – hoffentlich gut recherchierten – Informationen seriöser Medien zurückgreifen.
Was ist „Künstliche Intelligenz“? Meines Wissens gibt es kei-ne einheitliche Definition von dem, was „Intelligenz“ ist, „künstlich“ soll hier offenbar den Versuch bezeichnen, mit einem Programm das menschliche Gehirn so nachzustellen, wie man es sich derzeit vorstellt – ohne jedoch vollständig zu wissen, wie es funktioniert. Wenn von KI die Rede ist, sind also Computerprogramme gemeint, die eine unvorstellbar große Menge Daten analysieren und daraus Regeln ableiten können. Voraussetzung dafür sei die Entwicklung selbstler-nender Systeme gewesen, die es ermöglichen, dass die KI bestimmte Bereiche in einer riesigen Datenmenge fokussieren und – tja, wie soll man sagen? – „verstehen“ kann.
KI-Systeme sollen inzwischen selbst Texte, Bilder oder Töne generieren und sogar miteinander kommunizieren können, diese Systeme werden als „generative KI“ bezeichnet. Eine KI, die Texte „verstehen“ und generieren kann, wird als Sprachmodell bezeichnet, weil die KI mathematische Regeln in einem Text bzw. in der Sprache erkenne.
Die aktuell öffentlich nutzbare Version, ChatGPT-4 von OpenAI, berechnet offenbar in kürzester Zeit aus einer riesigen Datenmenge, welche Wörter statistisch häufig zusammenstehen, um plausible Texte zu generieren.
Welche gesellschaftlichen Auswirkungen diese (an ihrem Anfang stehende) Entwicklung haben wird, ist derzeit völlig offen. Als sicher kann gelten, dass es zu einer massiven Zunahme von Falschmeldungen im Internet kommen wird, und wer wird in der Flut von Fotos und Videos noch die „echten“ erkennen? Wird menschengemachte Literatur nur noch für eine kleine Minderheit in ausgewählten Buchhandlungen angeboten werden?

Sokrates stellte Fragen, er wusste, dass er nichts wusste, allein ihn trieb der Wunsch nach Erkenntnis. Bots geben im-mer nur Antworten, Antworten, Antworten …