05.05. 2024 -aktueller Autor - Markus Fegers

Markus Fegers
geboren 1955 in Mön­chen­glad­bach, arbeitet als Förder­schul­leh­rer. Ne­ben­­beruflich als Illustra­tor und Autor tätig. Als Amateur­mu­siker (Saxophon und Klarinette) spielt er in ver­schiedenen Jazzgruppen.
In der Studienzeit erste Veröf­fent­lichungen (Lyrik und Prosa). Nach län­gerer Schreibpause ent­stand seit einigen Jahren eine Vielzahl von Kurz­geschichten, von denen einige be­reits er­folgreich in Anthologien und bei Wettbe­werben platziert sind. Nun liegen bereits vier seiner Erzälbände im Geest-Verlag vor.

 

Feuerstuhl (aus: Um vier bei Roberta)

„Was hattest du denn erwartet?“ Alba grinst mich spöttisch an. „Eine fette Moto Guzzi vielleicht oder einen Feuer spuckenden Japaner?“
„Dieses Ding da jedenfalls nicht“, sage ich. „Obwohl …“
„Die Kids meiner Klasse lieben es heiß und innig“, erklärt Alba.
„Das glaube ich gern.“

Alba. Ich lernte sie kennen durch Zufall und Langeweile.
Die Langeweile hatte mich in das Volkshochschul-Seminar „Fantastische Figuren in der Kinderliteratur“ geführt, der Zufall wollte es, dass sich diese hübsche Brünette, verspätet eingetroffen, auf den letzten freien Platz neben mich schob.
„Entschuldigung“, flüsterte sie, stand noch einmal auf und schälte sich aus ihrer abgewetzten Lederjacke, die sie an-schließend über die Stuhllehne hängte. Setzte sich wieder und augenblicklich war ich hin und weg, berauscht von ihrem Duft.
Um mich nicht in einer genaueren Analyse zu verlieren, hier nur ein einziges Wort: unbeschreiblich. Unbeschreiblich und so präsent, dass es mir schwerfiel, mich auf die Worte des Dozenten zu konzentrieren, der gerade sehr eloquent über die Genese der Drachenfigur aus orientalischen Schöp-fungsmythen schwadronierte.
„Bin ich hier wirklich richtig?“, flüsterte meine Nachbarin.
„Unbedingt“, gab ich zurück.
In der verdienten Pause standen wir beieinander auf dem Hof. Die Brünette zog eine zerknitterte Zigarettenpackung aus ihrer Lederjacke. „Haben Sie Feuer?“
Ich kramte in meinen Taschen. Irgendwo sollte ein Streichholzbriefchen meiner Lieblingskneipe stecken. Tat es aber nicht. „Leider nein“, sagte ich.
„Macht nichts. Ist auch besser so. Eigentlich habe ich nämlich längst mit dem Rauchen aufgehört. Nur vergesse ich das ab und zu. Vor allem, wenn ich nervös bin.“
„Und jetzt sind Sie nervös?“
Sie nickte.
„Warum?“
„Weil Sie mich anstarren, als sei ich ein Weltwunder.“
„Sind Sie das nicht?“
Die Brünette zerdrückte ihre Zigarettenpackung, warf sie Richtung Mülleimer und traf. „Ich bin Alba“, sagte sie dann.
„Hübscher Name“, gab ich zurück.
„Spanisch“, erklärte sie. „Es gab da eine spanische Großtante in der Familie …“
„Nicht zu übersehen. Das spanische Erbe steht Ihnen übrigens ganz ausgezeichnet.“
Alba verdrehte die Augen. „Jetzt Sie. Ihr Name ist wohl ‚Charmeur‘, oder wie?“
„Entschuldigung“, sagte ich. „Georg. Um unseren Dozenten zu zitieren: Der Drachentöter, ein weit verbreitetes Motiv im europäischen Märchen. Befreit gerne Prinzessinnen aus den Klauen schrecklicher Untiere.“
Alba lächelte. „Ist das der Grund, warum Sie hier sind?“
Die Schulglocke schickte ihren C-Dur-Akkord auf den Hof.
„Ich glaube, es geht weiter“, sagte ich.
„Wahrscheinlich“, nickte Alba. „Aber ganz sicher ohne mich. Der Drache als Gedankensymbol in der chinesischen Shao-lin-Philosophie interessiert mich eher wenig. Ich hatte mehr auf unterhaltsame Informationen gehofft, über den Halbdrachen Nepomuk vielleicht oder Feuerstuhl, den Flugdrachen der Olchis …“
„Sie sprechen jetzt von Kinderbüchern“, stellte ich fest, „oder?“
„Ja doch. Geht es nicht darum in diesem Seminar heute? Ich komme mir gerade vor wie eine Studentin der vergleichenden Literaturwissenschaften, dabei arbeite ich ausschließlich mit Grundschülern …“
Erneut schellte die Glocke.
„Sie hätten die Beschreibung im Veranstaltungsverzeichnis genauer lesen sollen“, sagte ich. „Weiter als bis zur Renaissance des Drachenmotivs in Zeiten der Fantasy-Kultur schaffen wir es heute wohl nicht mehr.“
Alba legte ihre hübsche Stirn in Falten. „Damit lasse ich Sie dann lieber alleine weiterkämpfen“, sagte sie und schloss den Reißverschluss ihres Lederblousons.
„Schade. Sehen wir uns nächste Woche?“
„Ich denke drüber nach.“
Mit energischen Schritten verließ sie den Hof.
In der verbleibenden Zeit des Seminars nutzte ich mein Tab-let zur Recherche: Alba.
In Spanien laut Wikipedia immer noch einer der beliebtesten Mädchennamen. Also nicht so selten, wie ich vermutet hatte. Okay. Sehr hübsch allerdings seine Bedeutung: Perle. Das passt, dachte ich. Alba, eine echte Perle zwischen lauter Miesmuscheln. Stopp! Hier und jetzt galt es, mich zu bremsen. Nur nicht ins haltlose Schwärmen geraten wie ich es so häufig tue, kaum dass ich jemand Neues kennenlerne.
„Noch Fragen?“ Ich schreckte hoch. Der Seminarleiter stand neben mir. „Probleme, zu deren Lösung ich beitragen kann?“
„Nein, nein“, wehrte ich ab und sah mich um. Offensichtlich war ich außer ihm der Letzte im Raum. Hatte nicht bemerkt, dass die Vorlesung bereits beendet war. Rasch schob ich mein Tablet in seine Hülle und stand auf. „Vielen Dank! Bis zum nächsten Mal!“

Das nächste Mal ist heute. Die Reihen der Interessierten sind arg gelichtet, doch die wichtigste Person erscheint, wieder mit leichter Verspätung.
Vielleicht braucht Alba diesen Auftritt, denke ich. Verdient hat sie ihn jedenfalls, so attraktiv wie sie aussieht: groß und schlank, das dunkle Haar zu einem straffen Zopf geflochten, die endlosen Beine in hautenge Jeans gezwängt. Obwohl es ausreichend andere Plätze gibt, steuert sie meinen Tisch an, unterm Arm einen weißen Jet-Helm.
„Du also auch wieder hier, Georg …“
Sie legt den Helm auf einen Stuhl und wirft ihre Lederjacke darüber. Hat sie mich gerade geduzt? Wie ermutigend! „Natürlich“, gebe ich zurück. „Was wäre Theorie ohne Praxis?“
Alba setzt sich. Tief atme ich ihren betörenden Duft ein, der heute angereichert ist um eine winzige Note Benzin oder Öl.
„Fährst du Motorrad?“, frage ich.
Sie nickt. „Bin passend zum Thema mit meinem Feuerstuhl gekommen …“
Ein Räuspern vor uns: „Wenn auch Sie dann endlich so weit wären …“ Der Dozent fixiert uns mit strengem Blick. Während mir das Blut zu Kopf steigt, schenkt ihm Alba einfach ein strahlendes Lächeln: „Sicher!“

Irgendwann ist endlich Pause. Alba greift nach Jacke und Helm.
„Fährst du schon wieder?“, frage ich.
„Klar doch“, nickt sie. „Diese Ausführungen über …“ – sie äfft den Ton des Referenten erstaunlich gut nach – „… über die Verkehrung des Schreckenssymbols Drache in sein Gegenteil im Rahmen der zeitgenössischen Kinderliteratur waren überflüssig wie ein Kropf und die Bücherliste hätte ich mir auch aus dem Netz herunterladen können.“
„Psst!“, bremse ich. „Nicht so laut!“
„Das darf er ruhig hören“, sagt Alba. „Vielleicht lernt er daraus für sein nächstes Seminar.“

Ich begleite Alba auf den Hof. Unter der Pausenhalle steht eine ältere Vespa mit leuchtend rotem Lack. „Mein Feuerstuhl“, sagt Alba mit sichtlichem Stolz.
„Ernsthaft?“
„Ernsthaft.“ Sie grinst mich spöttisch an. „Was hattest du denn erwartet? Eine fette Moto Guzzi vielleicht oder einen Feuer spuckenden Japaner?“
„Dieses Ding da jedenfalls nicht“, sage ich. „Obwohl …“
„Die Kids meiner Klasse lieben es heiß und innig“, erklärt Alba.
„Das glaube ich gern.“
Ich umrunde den Roller. Betrachte ihn aus allen Perspektiven. Auf dem Beinschild unterhalb des Lenkers prangt groß das Bild eines niedlichen grünen Drachen.
„Tabaluga“, sagt Alba entschuldigend. „Nicht, dass du jetzt glaubst, ich wäre Peter-Maffay-Fan, Gott bewahre! Da hat sich Freddy einfach im Motiv vertan. Eigentlich hätte der Olchi-Feuerstuhl hingehört. Aber für den ist ja auch noch anderswo genügend Platz.“ Sanft tätschelt sie das üppig gerundete Heck ihres Zweirads.
„Freddy?“, frage ich.
„Mein Freund“, sagt Alba.
Ich schlucke. „Dein Freund. Aha. Okay …“
„Enttäuscht?“
„Warum? Sehe ich so aus?“
Sie legt den Kopf schief und mustert mich. „Eindeutig ja. Und du klingst auch so.“
Ertappt. Leugnen zwecklos. Hilflos zucke ich mit den Schultern.
„Freddy hat mir die Restaurierung der Vespa zum Geburtstag geschenkt“, erklärt Alba. „Ist gestern erst fertig geworden.“
„Sehr hübsch“, gebe ich zu, „absolut. Und: Gratulation nachträglich!“
„Danke. Magst du eine Probefahrt mit mir machen?“
„Ohne Helm?“
„Keine Angst, wir drehen nur schnell ein paar Runden hier über den Hof …“
Sie bockt die Vespa vom Ständer, schwingt sich hinter den Lenker und startet.
Der kleine Zweitakter meldet sich mit erstaunlich kräftiger Stimme.
Alba klopft auf die Sitzbank. „Kommst du?“
Seufzend leiste ich ihrer Aufforderung Folge.
„Nicht traurig sein, Drachentöter“, sagt sie, als ich hinter ihr Platz gefunden habe. „Irgendwo wartet bestimmt noch eine Prinzessin darauf, von dir aus den Klauen ihres Dämons befreit zu werden.“
„Vielleicht.“
„Ganz sicher“, sagt Alba und gibt Gas.