Über das gestrige Schreibprojekt von Pestalozzischule und Gymnasium Brake

Endlich wird wieder ein Buch geschrieben - und wir sind dabei! Bei den Achtklässlern der Pestalozzischule und des Gymnasiums Brake mischen sich Neugier und Spannung, Vorfreude und das Bewusstsein, eine von ihren Mitschülern begründete Tradition fortzuführen. Dass die älteren Kumpels es geschafft haben, ein Buch zu schreiben, verleiht anscheinend Souveränität, und so nähern sich die jungen Autorinnen und Autoren des künftigen Buches ihrer Aufgabe bei allem Respekt auch mit einer gehörigen Portion Unangestrengtheit. Wie unkompliziert sich die schulformgemischten Schreibgruppen finden, wie organisch man miteinander kommuniziert, das sei schon toll und so nicht zu erwarten gewesen, da sind sich die zuständigen Klassenlehrer Meike Heibült (Gymnasium) und Andreas Oeltjen (Pestalozzischule) sehr einig. Schon von daher sei der erste Schreibtag am Donnerstag in der Pestalozzischule ein voller Erfolg gewesen.

Dabei hat die Aufgabe, das sieht auch Alfred Büngen,  der Leiter des Geest-Verlags, so, es diesmal ganz besonders in sich. Nach "Kuschelbär und Liebesglück" und "Das ist unser Haus!", den Büchern, die er in den letzten Jahren publizierte, geht es nun, siebzig Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft, darum, erfundene gleichaltrige Braker Jugendliche von damals durch ihre Lebenswege ab Beginn der Dreißiger Jahre zu begleiten. Fünfzehn Figuren des künftigen Romans sind aus den Anregungen der Schüler enststanden. Esther, die Hauptfigur, ein eher schüchternes Mädchen, das das Gymnasium besucht, hat eine jüdische Mutter. Frank, ein Volksschüler, Handwerkersohn, findet die Nazis gut, weil sie was für die Wirtschaft tun. Marlies, Tochter eines lokalen Parteibonzen, kann das Gelabere ihre Vater nicht mehr hören. Und es gibt auch einen Schüler, der wegen seiner Schwierigkeiten die Hilfsschule besucht -- anfänglich, bis die von den Nazis aufgelöst wird. Zu jeder Romanfigur bilden sich unter Anleitung der Lehrer und von Alfred Büngen Gruppen, die sich aus der Sicht "ihrer" Figur vorgegebene Handlungsknoten diskutierend und schreibend erarbeiten -- gemischte Gruppen fast durchweg, allein die Gruppe, die Esther nachempfindet, ist nur von Pestalozzischülerinnen besetzt.

Du kommst am Braker Rathaus vorbei, als dort von einem Propagandawagen der Nazis Parolen gegen Juden, Asoziale und Erbkranke gegröhlt und Fähnchen verschenkt werden. Wie reagierst du als Esther, Marlies, Richard oder Frank? Oder: Die Ruhebänke entlang der Weser tragen plötzlich Schilder mit der Aufschrift "Nicht für Juden!". Was denkst, was tust du? Oder: Teile Esther aus deiner Rolle heraus in einem Brief mit, was du für sie empfindest! Die Intensität, mit der die Schülerinnen und Schüler sich dieser und anderer Aufgaben annehmen, lässt den Anwesenden beim Verlesen der ersten Schreibergebnisse bisweilen den Atem stocken. Dass der sich auf die Bank setzen will, das nicht darf, erkennt man an seiner Hakennase, und dass Esther als Jüdin alles Gemeine verdient, schreiben die, die Hitler bejubeln. Die das nicht tun, die sich in Esthers Rolle versetzen, die Mitleid haben mit ihr, versichern sie ihrer Solidarität.

"Darum geht es:", sagt Büngen, "Dass sich die Schüler in ihre Rollen hineinfühlen und das dabei Erfahrene historisch reflektieren". Da Drittes Reich im Gymansium erst im nächsten Schuljahr auf dem Lehrplan steht und für Förderschüler überhaupt nicht, findet in den Schulen eine projektbegleitende Vertiefung auch außerhalb der Schreibtage statt. Zwei weitere Schreibtage, die nächste nach den Osterferien, stehen noch an, dann folgen Auswertung und Lektorierung. Die Premiere des  neuen Buches ist terminiert auf Mitte November, für Reinhard Rakow, den Organisator der Berner Bücherwochen, in deren Rahmen das Buch projektiert ist, "einer der absoluten Höhepunkte".