Corona – ein persönlicher Erfahrungsbericht von Heiko Schulze

Corona – ein persönlicher Erfahrungsbericht

Infizieren mit dem Corona-Virus? Muss nicht sein, klar. Deshalb habe ich bislang natürlich jede Vorsichtsmaßnahme mitgemacht. Aber was soll mir, dem sportlich Aktiven ohne Vorerkrankung, eigentlich schon wirklich Schlimmes passieren?

Ich doch nicht! Und wenn schon …

Meine letzte fiebrige Erkrankung muss Jahrzehnte her sein. Keine Ahnung mehr, wann das war. Nierensteine und Kalkschulter in diesem Zeitraum zählen ja zu anderen Disziplinen. Jede Woche renne ich bis zu 30 km durch den Wald, fahre beinah täglich auf meinem 29er-Mountainbike. Ich bin ohne jede Vorerkrankung, schlucke, trinke und rauche nix, habe unter 60 Ruhepuls, fühle mich wesentlich fitter als mit offiziösen 66.

Vielleicht, so meine Fantasie-Ausflüge, erlebe ich ja im Falle einer Infektion meinen erwarteten „milden Verlauf“. Und vor allem: Im Falle einer Ansteckung und danach folgender Immunität muss ich nicht verzweifelt, wie so viele andere, monatelang auf meine ersehnte Spritze warten. Corona-Infektion, um immun zu werden: Die ganz persönliche Hardcore-Variante Heiko Schulzes also zu OB Griesert, der seine Amtsgeschäfte weiter fröhlich nach völlig zufällig vorgezogener Impfung versieht?

Und dann passiert es doch…

Um es gleich zu sagen: Totaler Blödsinn! Derartige Fantasie-Ausflüge werden schnell zum selbst gebastelten Marterinstrument. Denn Covid-19 hat mir, ganz plötzlich, tatsächlich den Bett-Knock-down verpasst. Irgendwann vor dem 18. Januar (dem gruseligen VfL-Spiel beim HSV, was wohl auch nur krank machen konnte) muss es passiert sein. Wie und wo ich mich – oder zuvor mein Bruder – angesteckt habe, weiß kein Mensch.

Ich bin dann nur eins von fünf Haus- und Haushaltsmitgliedern, die von der Pandemie „heimgesucht“ wurden. Aber alle anderen Betroffenen, selbst meine 93jährige Mutter (weiterhin: toi ,toi, toi!) stehen bis heute für den berühmten „milderen Verlauf“. Nur mich hat es offenbar ziemlich drastisch erwischt.

Tage bis zum „Bett-Down“

Seit der ziemlich unangenehme Abstrich vom 20. Januar zwei Tage später offiziell von der Gesundheitsverwaltung bestätigt worden ist, liege ich täglich mehr und mehr flach. Ab sofort werde ich auch zimmertechnisch im Hause isoliert und hole meine Speisen, zumindest bis zur festgestellten Infektion der anderen Familienmitglieder, brav vor der Zimmertür ab.

Am zweiten Tag habe ich noch so etwas wie Appetit. Zehn Tage danach habe ich den nicht mehr. Die kleine Ausnahme bildet ein entsetzlich süßer, eiskalter Milchshake, den mir mein Sohn, auf meinen sehnsüchtigen Wunsch hin, irgendwann von Mac Sowieso besorgt. Der Shake kann nicht verhindern, dass ich deutlich weniger werde, denn in jenen Tagen sollte ich sieben Kilo abnehmen und mein Leben bei bis zu 39° Fieber unter der Bettdecke verbringen.

Abgelenkt durch nötige heiße Suppen, Zwiebacke bis hin zu dringend nötigen Tabletten gegen Übelkeit. Zum Glück kann ich wenigstens die tägliche, durchaus besorgte Frage meines befreundeten Arztes nach Atemproblemen mit Nein beantworten. Die Lunge scheint noch zu halten, aber auch Fieber, Schlappheit und Übelkeit können einen unendlich schlauchen.

Mit meinem Hausarzt war ich noch am Sonntagmorgen zuvor (wie ewig lang ist das jetzt her?) wie üblich 20 km durchs Nettetal gerannt. Jetzt reicht es bei mir gerade noch dazu, unter der Decke meine Fieber- und Übelkeitswerte durchzugeben. Verbunden mit dem aufmunternden Appell des psychologisch geschulten Mediziners „Wird schon wieder, Heiko!“, was dann eher zur Therapie zählen dürfte als zu meinen realen Empfindungen.

Täglich grüßt das Übeltier

Jeden Tag geht es mir in Wahrheit schlechter. Gänge zur Toilette oder Essenseinnahmen werden zu sportlichen Herausforderungen. Übelkeit ist noch viel übler als Fieber, lerne ich. Draußen registriere ich jedes einzelne Auto-, Bus- oder Motorradgeknatter in zigfach multiplizierter Lautstärke. „Brummbrumm-quietsch-brrrrm“! Ich verstecke meinen Kopf unter einem dicken Kissen, unter dem ich zum Glück irgendwann wieder einschlafe – um vom schier unerträglichen Straßenlärm eines vorbeirauschenden E-Bikes dann doch wieder regelmäßig geweckt zu werden.

Um mich zumindest geistig halbwegs auf dem Laufenden zu halten, gucke ich rund um die Uhr Phoenix, Arte oder Tagesschau 24. Und welche Spezies an Meldungen erscheint fast immer auf der Glotze neben dem Bett im abgedunkelten Raum? Natürlich Corona! Neue Mutationen, versemmelte Impfmengen, Lockdown und verrammelte Läden, stets wiederkehrend weise Vorschläge, wie sich mensch vor Corona schützen soll. „Zu spät“, murmele ich vor dem nächsten Einschlafen entnervt vor mich hin.

Corona mit neuen TV-Gefühlen

Corona wird somit auch mental zur Sucht wie Allergie. Ich sauge alles weiter ein, pruste dann doch vor mich hin und schalte bei Markus Lanz, allerspätestens bei Verkündungen Christian Lindners, wieder ab – und es ist dunkel. Besser Dunkelheit und Tiefschlaf als die hundertsiebenunddreißigste Debatte darüber, wie man sich besser gegen Corona schützen kann. Ja ja, egoistisch. Zugegeben.

Irgendwann schlucke ich für die Nacht auf Anraten meines Arztes fiebersenkende Tabletten. Sie helfen! Zwar schwitze ich zuweilen wie Friedbert in der Wüstensonne – aber irgendwann sinkt es tatsächlich, dieses eklige Fieber. Und auch die Übelkeit verwandelt sich betulich in vorsichtigen Appetit. Jener kommt, wie oft berichtet, auch bei mir mit reduzierten Geschmacksnerven aus. Jeder Biss in eine Salamischeibe erinnert an das Einlöffeln einer Volldosis von purem Salz. Wenigstens schmecken Süßes, Brötchen und die geliebten Fünf-Minuten-Eier noch!

Schritte in die Außenwelt

Ich zwinge mich eines Tages, meinen Bademantel umzuknoten, aufzustehen und tastend in Wohnzimmer, Küche oder in mein Büro zu wanken. Alles sieht vertraut aus.

Ich setze mich vor den Monitor. Nett zu sehen, wie sich mittlerweile, ohne jedes Zutun von mir (oder auch gerade deswegen?), die Osnabrücker Rundschau entwickelt hat. Kalla bittet mich nach einigen therapeutischen Beratungsgesprächen dringend, wenigstens einmal das zu liken, was ich gut finde. Synchron zum fallenden Fieber schnellen also meine Likes für meist ungelesene Artikel vertrauensvoller AutorInnen in ungeahnte Höhen. Es geht noch was. Erste Trostanflüge scheinen zu wirken.

Einen kurzen Kommentar verfasse ich irgendwann und halbfiebrig zum (von mir seit 40 Jahren fest und unbeirrt vertretenen!) Nein für den „Lückenschluss“ der A33 durch Naturschutzgebiete zwischen Belm und Wallenhorst. Ich schreibe zwar nur Argumente auf, die ich seit jeher vertrete, aber all das wühlt mich ungewohnt auf, geht mir viel zu nahe.

Die Debatte wiederholt sich in Halbträumen. Nicht schön. Altgeliebte Wortgefechte zu vertrauten Themen, zu denen ich stets so gern meinen Senf beisteure, brutzeln derzeit auf Sparflamme.

Muss ja auch nicht sein. Wer debattiert, sollte geistig voll satisfaktionsfähig sein. Bin ich aber noch nicht. Weitere Weisheiten lasse ich also erst einmal. Bis auf Widerruf zumindest.

Meine Lehraktivitäten an der Hochschule machen einige Terminverschiebungen erforderlich. Das Organisieren per Mail-Absprachen und einige Telefonate sind ziemlich anstrengend. Dies alles verschafft aber Luft dazu, die nächsten Tage ohne irgendwelche Absagen durchzustehen und deutlich viele „freie Tage“ zu produzieren.

In unserem VfL-Bündnis „Tradition lebt von Erinnerung“ kann ich mich nicht mehr live in eine gut und engagiert gemachte Aktionswoche anlässlich des Auschwitz-Gedenktages einklinken. Irgendwie muss es prophetisch gewesen sein, dass ich meinen zweiteiligen YouTube-Vortrag „Lila-Weiß in brauner Zeit“ schon rund zwei Wochen und sieben Kilo schwerer vor dem Covid-Überfall hinbekommen habe. Alles ist inzwischen aufgezeichnet und mit Hilfe anderer bei YouTube eingestellt. Besten Dank, liebe MitstreiterInnen! Hier gibt es mehr zu unserem Bündnis: „!Nie Wieder!“-Projektwoche.

In wüsten, albverträumten Fieberfantasien (Vorsicht: Übertreibung ist aus dramaturgischen Gründen absolut nicht ausgeschlossen!) hatte ich meine beiden Videos schon geistig mit einer durchlaufenden Banderole vor mir gesehen: „In Memoriam. Das war mal Heiko“ – oder so ähnlich. Andere Tagträume sind viel schöner. Das ständige Flachliegen unter der warmen Decke lässt mich aber tatsächlich gut zwei Wochen nicht los. Aber im Trend wird es weniger.

Das Spieglein an der Wand

Ein Blick in den Spiegel lässt mich postwendend wacher werden als zu besten Zeiten. Nur der Anlass ist beschissen: Wo sind meine wohltrainierten Waden- und Oberschenkelmuskel geblieben? Was war einmal zu sehen an anderen Gliedmaßen, wo ich jetzt nur schrumpelige Falten erblicke? Wow!

Ich wende alles in Positive. Es gibt etwas zu tun! Wiederaufbau Dodesheide! Zumindest fantasiere ich schon mal von einem Trainingsprogramm.

Ein langes Aufbautraining

Irgendwann nimmt alles seinen Anfang: Ein- Kilometer-Schneestapfen statt 20 km schnellen Waldlauf bildet nach mehr als zwei Wochen die erste außerhäusliche Trainingseinheit. Mit etlichen Steh- und Luftholpausen.

Im Supermarkt nutze ich erstmals in meinem Leben eine zuvor nie registrierte Sitzbank vor der Fleischtheke. Eine betagte Dame hat sie gerade geräumt, weil die Fleischthekenfrau soeben laut die Nummer der Sitzenden aufgerufen hat und dabei hektisch auf die gleichlautende Leuchtziffer über ihrem Kopf zeigt. Super. Ich sitze auf dem Platz meiner betagten Vorgängerin und betrachte Fleischwürste. Zumindest für ein gefühltes Minütchen Ruhe! Die Rentner-Strafbank baut mich tatsächlich wieder auf. Und für den Schwindel-Notfall besitzt der aufgezwungene Einkaufswagen jetzt eine integrierte Rollatorfunktion. Gehen tut ja gut, nur nicht zwingend im Supermarkt.

In jüngster Zeit steigere ich systematisch meine Blockerkundungen. Eine nagelneue Uhr mit Schrittzähler hilft mir prima. Drei Kilometer stakse ich mittlerweile wieder in Zeitlupe durch die Umgebung. Peu à peu soll es etwas mehr werden – hoffe ich zumindest und bastle daran. Rückschläge werde ich hinnehmen müssen, aber Schneeluft kann ja auch angenehme Seiten haben. Für Übertrainierte mit zu vielen Metern gibt es ja unbeirrt das Sofa zu Hause. Auch das gehört noch zum Alltag. Noch, hoffe ich. Aber der Weg zur alten Fitness dürfte dauern. Ebenso wie der zum lustvollen Streiten über weltbewegende Fragen.

Ein weises Resümee dieses Kurzreportes möchte ich den Lesenden ersparen. Außer dem nie müde werdenden Dreifach-Appell „Maske auf, Abstand halten und Hygieneregeln befolgen!“. Klar: Bei mir hat es zuletzt wohl nix genützt. Aber etlichen Millionen bislang doch. Und in der Zukunft ebenfalls! Denn Covid-19 braucht kein Mensch.

Bleibt gesund, Leute!