'Das Märchen vom Fisch und der Altenpflegerin' von Anela Nezirovic
Das Märchen vom Fisch und der Altenpflegerin
von Anela Nezirovic
Es war ein schöner Tag, die Vögel zwitscherten und die Blumen blühten bunt, doch für Eli zeigte sich der Tag dennoch mal wieder von seiner schlechten Seite.
Eli war eine zwanzigjährige junge Frau, die ihre Ausbildung an der Ev. Altenpflegeschule in Oldenburg absolvierte. Sie hatte die Ausbildung mit sehr viel Motivation und Freude angefangen, hatte nicht gewusst, was sie erwarten würde. Die Schule hatte sehr gut angefangen, neue Mitschüler, neue Lehrer. Sie war glücklich darüber, dass sie die Ausbildung an gerade dieser Schule machen durfte. Für sie war es schier unglaublich, dass alle Lehrer so nett sei konnten und dass sie hinter jedem Schüler standen. Schon im ersten Schulblock hatte sie viel gelernt, sodass sie und ihre Mitschüler mit sehr viel Freude in die Praxisphase gingen, stolz auf sich und auf den Weg, den sie gewählt hatten.
Die ersten Tage in der Praxis liefen sehr gut, doch nach und nach ging alles bergrunter. Eli wurde durch die Arbeit immer mehr gestresst und traurig, sie konnte nicht glauben, wie es sein konnte, dass Menschen so wenig Ahnung und Verständnis für die Pflege hatten. Vor al-lem auch, dass manche KollegInnen so wenig Verständnis für die SchülerInnen hatten. Sie fragte sich ständig, was sie falsch machen würde.
Eli fand das alles so traurig, weil durch das Verhalten mancher Pflegekräfte auch die Bewoh-ner traurig und gestresst wurden. Vor allem waren sie sehr unglücklich.
An einem dieser traurigen Tage fuhr Eli mit dem Fahrrad erneut an den Tweelbäker See, sie wollte versuchen, auf andere Gedanken zu kommen und sich zu entspannen. Sie hatte ihr Lieblingsbuch ,Der Derwisch und der Tod‘ mitgenommen, eine Kanne mit Tee und eine De-cke.
Als sie endlich angekommen war, suchte Eli einen Platz in der Nähe des Wassers. Einen Platz, wo sie allein sein und ihr Buch lesen konnte. Sie fand einen schattigen Ort mit Bäumen um sich herum und ließ sich dort nieder. Gerade hatte sie angefangen, in ihrem Buch zu le-sen, war mit ihren Gedanken ganz woanders, als sie plötzlich eine Stimme hörte. Eli war ein bisschen irritiert, als die Stimme sie noch einmal ansprach. Sie konnte niemanden entdecken. Ihr Blick fiel ins Wasser. Dort entdeckte sie einen goldenen Fisch. Doch seit wann konnten Fische reden? ‚Hmm, jetzt bin ich aber echt verrückt geworden! Karl-Jaspers-Klinik grüßt!‘, dachte Eli bei sich. ‚Ein sprechender Fisch!‘
Zu ihrer Überraschung sprach der Fisch sie jedoch noch einmal an. „Liebes Mädchen, ich sehe, dass du sehr traurig bist. Das möchte ich nicht, deswegen darfst du dir etwas wün-schen. Aber sei vorsichtig, ich habe nur drei Wünsche für dich frei.“
Eli konnte es gar nicht glauben. So etwas gab es doch eigentlich nur im Märchen. Doch sie überlegte sich ihren ersten Wunsch sehr gut und sprach dann zu dem goldenen Fisch: „Lieber Fisch, ich wünsche mir, dass die Menschen mehr Verständnis für die Pflege haben.“
Der Fisch blubberte einige Luftblasen und sprach dann mit einer sanften Stimme: „Liebes Mädchen, gehe jetzt, morgen wird dein Wunsch erfüllt werden.“ Dann verschwand er in den Tiefen des Tweelbäker Sees.
So ging Eli nach Hause. Sie war noch immer verwirrt, dachte, dass sie alles geträumt hätte.
Am nächsten Morgen ging Eli mit viel Freunde zur Arbeit in der Hoffnung, dass jetzt vielleicht alles anders würde. Doch ihr Arbeitstag begann so wie immer. Vielleicht war das Versprechen des goldenen Fischs doch nur ein Traum gewesen? In der Frühstückspause warf sie einen Blick in die Zeitung, die dort auf dem Tisch lag. Was war das? Ein langer Artikel über die Ver-änderungen in der Pflege. Die Überschrift verkündete: „Mehr Mitarbeiter für Alten- und Pflegeheime. Zudem Erhöhung der Gehälter für die Mitarbeiter.“
Eli war skeptisch, dachte: ‚Die Zeitungen schreiben so etwas nicht zum ersten Mal. Leider ist eine solche Veränderung noch nie eingetreten.‘
In dem Moment kam die Wohnbereichsleitung und berichtete, dass in einer Woche mehr Mitarbeiter kommen würden und dass sie so eingesetzt würden, dass jeder Bewohner gut ver-sorgt werden könne. Eli war überrascht: „Hmm, vielleicht habe ich doch nicht geträumt. Der Fisch …, das kann doch alles nicht wahr sein!“ Sie wusste nicht mehr, ob das wirklich passiert war. Hatte sie wirklich den Fisch gesehen und mit ihm gesprochen?
Aber es war eine sehr große Freude zu wissen, endlich hat sich was geändert, endlich gibt es mehr Menschen für die Pflege. Endlich konnten alle entspannter arbeiten und das würde für die Bewohner gut sein, das würde ihnen guttun.
Ein paar Tage später. Eli war immer noch nicht ganz zufrieden. Obwohl es nun mehr Perso-nal gab, blieb die Atmosphäre zwischen ihr und ein paar KollegInnen noch sehr gespannt, gleichwohl sie immer wieder versuchte, mit den KollegInnen zu reden. Sie weinte gelegentlich vor der Arbeit und sogar manchmal auf der Arbeit. Ja, sie hatte sogar überlegt, ob Altenpflege überhaupt etwas für sie wäre. Dann jedoch kamen ihr Gedanken, schöne Erinnerungen an Menschen, die sie auf der Arbeit hatte kennenlernen dürfen, Menschen, die sie in der Pflege begleiten durfte. Diese positiven Erinnerungen brachten sie durch die schwere Zeit. Sie fragte sich ganz oft, ob sie die einzige Schülerin wäre, die so viele Fehler machen und nichts auf die Reihe bekommen würde. Oft dachte sie daran, was wohl in drei Jahren am Ende der Ausbil-dung bei den Prüfungen passieren würde. „Ich möchte eine gute Fachkraft werden, aber der Weg, der Weg ist einfach zu schwer ... Ich weiß nicht, ob ich genügend Kraft in mir habe …, aber ich möchte es so sehr!“ Sie versuchte oft, ihre Situation zu reflektieren, um zu überle-gen, ob der Weg, mit KollegInnen immer wieder zu reden, nicht der richtige wäre.
Mit all diesen sich selbst in Zweifel stellenden Gedanken fuhr Eli noch einmal mit dem Fahrrad zum Tweelbäker See. Sie hatte die Hoffnung, dass der goldene Fisch kein Traum gewesen war. Angekommen, schaute sie sich um, ob er irgendwo im Wasser zu sehen wäre. Doch der Fich tauchte nicht sofort auf. ‚Ich wusste es, alles war nur ein Traum, ich weiß nicht, was ich mir zurechtgedacht habe.‘ Eli war sehr wütend auf sich und zugleich traurig.
Doch auf einmal tauchte der goldene Fisch aus dem Wasser auf und sprach: „Eli, du siehst sehr traurig aus, wie kann ich dir helfen? Vielleicht ist wieder die Zeit für einen Wunsch ge-kommen? Aber, denk daran, du hast nur noch zwei Wünsche frei.“
Eli überlegte nur kurz und meinte dann zu dem Fisch: „Ich möchte mehr Freunde bei der Ar-beit haben und mehr Verständnis von den Kollegen und Kolleginnen erfahren. Ich wünsche mir das aber nicht für mich allein, sondern für jeden Schüler und jede Schülerin auf dieser Welt, der oder die in der Pflege arbeitet. Lieber Fisch, du weißt ja, die Ausbildung zu machen, ist gar nicht so einfach, warum machen uns die KollegInnen das alles noch schwerer? Es sind doch ohnehin kaum junge Menschen, die heutzutage Interesse zeigen für den Beruf. So ver-liert man nur die Freude am Beruf, und es werden immer weniger Menschen, die diesen Beruf erlernen möchten. Keiner ist perfekt, aber keiner von uns kommuniziert darüber. Wieso können wir nicht offener und ehrlicher miteinander sprechen? Wieso fällt und die Kommuni-kation so schwer?“
Der goldene Fisch schaute Eli an und antwortete: „Ich kann dich verstehen, liebe Eli. Geh jetzt nach Hause, alles wird morgen anders sein. Ab morgen wird sich für die Altenpflegeschüle-rInnen einiges verbessern. Aber denk daran, du hast nur noch einen Wunsch frei. Vielleicht gibt es etwas, was du dir nur für dich selbst wünschen möchtest. Vielleicht ein Wunsch auf etwas, nach dem sich dein Herz seit Jahren gesehnt hat.“
Das Wasser des Tweelbäker Sees brodelte auf, hohe Wellen bildeten sich und der Fisch ver-schwand in der Tiefe des Sees.
Auf dem Heimweg gingen ihr die Worte des Fisches durch den Kopf, auch in den nächsten Tagen. „Ist es eigentlich egoistisch von meiner Seite, etwas nur für mich zu wünschen, wis-send, dass das vielleicht die letzte Wunschmöglichkeit wäre, die Welt zu retten? Aber könnte man die riesige große Kugel, die wir Erde nennen, überhaupt noch retten?“
Die Zeit ging vorbei und Eli machte sich immer mehr und mehr Gedanken, was ihr letzter Wunsch vom Fisch sein könnte. Mittlerweile hatte sie auch ihr erstes Lehrjahr hinter sich, mit guten Noten, was ihr sehr viel Mut gegeben hatte. Bei der Arbeit hat sich durch die Erfüllung ihrer beiden Wünsche einiges verbessert. Nach einer Weile hatte Eli überlegt, ob es vielleicht egoistisch von ihr gewesen wäre, immer zu glauben, dass die Probleme an den KollegInnen liegen würden? ‚Ich weiß es nicht … Ich lerne ja immer noch‘, dachte sich Eli.
Endlich wusste Eli um ihren letzten Wunsch, und so fuhr sie wieder zum Tweelbäker See. Als sie am Ufer stand, brodelte das Wasser auf und der goldene Fisch erschien an der Oberflä-che. „Oh Eli, wir haben uns ja lange nicht gesehen“, meinte er. „Ich kann mir vorstellen, dass es nicht leicht für dich war, deinen letzten Wunsch zu überlegen. Sag mir, meine Liebe, was liegt dir dieses Mal am Herzen?“
„Lieber Fisch, ich habe lange nachgedacht. Mein letzter Wunsch ist, mich selbst zu verbessern dadurch, dass ich mehr Verständnis für die anderen entwickle, indem ich besser mit den Kollegen und Kolleginnen kommunizieren. Wege zu entdecken, wie ich mich am besten mit Kollegen verständigen kann. Mehr darüber zu lernen und zu wissen, dass es keinem leicht fällt, in diesem Beruf zu arbeiten, damit ich später als Fachkraft alles Gelernte weitergeben kann.“
Das Fisch war von Elis Wunsch überrascht, aber auch sehr glücklich. „Eli, ich freue mich, dass ich der Fisch gewesen bin, der dir die Wünsche erfüllen durfte. Und ich freue mich, dass es immer wieder Menschen wie dich gibt, die weitererzählen können, was eigentlich Pflege als Beruf bedeutet. Menschen, die stolz auf ihre Arbeit sind und sagen: Ich bin ALTENPFLE-GER, und das ist mehr als nur ein Beruf.“
Auch der letzte Wunsch von Eli erfüllte sich. Sie ist immer noch dabei, eine Pflegefachkraft zu werden, ihren Beruf weiterzulernen, alle wunderbaren Geschichten der Menschen in der Pflege zu hören, sich weiterzuentwickeln. Und das alles mit sehr viel Freude und Motivation, die sie wieder zurückgewonnen hat. All das hat sie dem goldenen Fisch zu verdanken, den sie als einen Freund und Begleiter ihrer Ausbildung gesehen und gewonnen hat, gerade in der Zeit, in der sie zweifelte, in der Zeit, in der nicht alles so perfekt war.
So lebt Eli weiter in Oldenburg und freut sich auf jeden neuen Tag.
aus dem Schreibpojekt von Verlagsleitr Alfred Büngen mi der Ev. Altenpflegeschule in Oldenburg