Dieter Krenz - Erzählungen in der Isolation - der dreiundzwanzigste Tag (Literatur in schwierigen Zeiten)
Dreiundzwanzig Tage musste das Kind nun schon zu Hause bleiben. Nur gut, dass es Besuch empfangen durfte. Heute Nachmittag kam Philipp, der immer karierte Hemden trug und auf der Straße sich hüpfend fortbewegte.
Dir erzähle ich von der Perle, sprach er. Als meine Omi siebzig wurde, lud sie die ganze Familie zum Essen in ein italienisches Restaurant ein. Für uns Kinder war das super, weil wir uns die größten und besten Pizzas bestellen durfte. Meine Omi bestellte sich Muscheln. Die mochte sie besonders gern. Ich mag sie nicht. Die sind so glibberig. Und dann kamen auch schon unsere Pizzas. Ich hatte mir eine mit scharfer Salami bestellt. Die war richtig gut. Leider schaffte ich sie nicht ganz. Aber mein Bruder, der Leo, futterte den Rest schnell weg.
Meine Omi war dabei, die Muscheln zu öffnen und den Inhalt zusammen mit Spaghetti zu essen. Bei der dritten Muscheln rief sie plötzlich „Hurra!“ Alle schauten sie verwundert an, auch die Gäste vom Nebentisch. Und dann hielt meine Omi eine kleine Perle zwischen ihren Fingern. Wir waren begeistert. Ich fragte, ob man Perlen nur in Muscheln finden kann. Leo langte mir an die Stirne: „Natürlich nur in Muscheln, vielleicht auch mal in Schnecken.“ Ich meinte: „Dann finde ich ja nie eine Perle.“
Eine Woche später war ich bei meiner Omi zu Besuch. Mittags kochte sie für mich Spaghetti mit Tomatensauce. Das schmeckt immer toll bei ihr. Ich rollte die Spaghetti mit der Gabel auf, als ein weißer Punkt aus der Tomatensauce herausschaute. Ich holte ihn mit meiner Gabel heraus. Es war eine Perle. Hurra! Leo hatte Unrecht. Perlen kann man überall finden.
Findest Du einen Namen für diese Perle?