Dirk Röse - And the Winner is ...


And the winner is ...

Mir geht meine eigene Arroganz auf die Nerven. Warm, wohlgenährt und fern jeder existenziellen Bedrohung verfolge ich die Ereignisse in der Ukraine, versuche mich an Meinungsbildung und bleibe bei jeder Deutung am behaglichen grünen Tisch. Derweil wird in Mariupol gehungert, gedürstet, gelitten, verletzt und gestorben. Ich verliere mich in sinnlosen Worte, die Ukraine verliert sinnlos ihr Leben.


Etwas Ähnliches gilt für die Solidarität mit der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland. Die internationale Unterstützung bleibt überraschend massiv und zeigt erste Wirkung. Doch an der Front, im U-Bahnschacht und im Angesicht des eigenen Todes steht die Ukraine allein. Noch hat der friedliche Wirtschaftsboykott nicht zum Frieden geführt. Der Oligarch muss auf seine Yacht verzichten, die Ukraine auf ihre Heimat.


Die westlichen Bündnisse sind gefangen in der Drohkulisse eines mit Atomwaffen geführten Dritten Weltkriegs. Die früher effektiven Gleichgewichtskräfte des Kalten Krieges haben in eine Sackgasse geführt, die der Kreml nutzt. Es ist ein Dilemma, das die Ukraine in Schutt und Asche legt, das Menschen in die Flucht treibt, das aufgrund ausbleibender Ernteerträge der Ukraine schon im kommenden Jahr zu noch mehr Hunger in den ärmsten Regionen der Welt führen kann, das internationale Wertschöpfungsketten aushebelt und das hierzulande viele Bürger:innen vor echte finanzielle Engpässe stellt, weil die Preise steigen. Dem Westen sind die Hände gebunden, den Ukrainer:innen ein Strick um den Hals.


So bleiben Grundelemente eines altbekannten Dramas erhalten und jede Partei dient ihrem eigenen Interesse. Russland folgt feuchten Träumen von der Auferstehung als Weltmacht. Der Westen will einen wildgewordenen Despoten kaltstellen und sich den Krieg vom Leib halten. Ich versuche Sinn und Verstand in einer Welt wiederzufinden, die sich einmal mehr ad absurdum führt. Die Ukraine aber kämpft um ihre Eigenständigkeit und ums Überleben. Morgens schauen wir in den Spiegel und die Ukraine in die Gewehrmündung.


Es lohnt eine Vorschau auf das Winterhalbjahr 2022/2023. Für den Friedensnobelpreis nominiert werden die westlichen Bündnisse für das umsetzungsstarke Maßnahmenpaket zur Wahrung von Wohlstand und Frieden in den eigenen Reihen (plus eine Nominierung für den Nobelpreis für Wirtschaft aufgrund der wegweisenden Einsichten in den Zusammenhang von Finanzen, Rüstung und Politik). Den Oskar für das beste Drehbuch erhält Wladimir Putin, der damit die Grundlage für einen weltweit erfolgreichen Blockbuster mit unerwarteten Spannungsmomenten bei gleichzeitiger Wahrung einer gewissen Realitätsnähe schuf (plus eine gesonderte Dankesnote der vielbeschäftigten internationalen Medien). Der Grammy für den besten Soundtrack geht an die russische Armee, die mit einem zackigen Trommelfeuerwirbel für eine furiose Renaissance der Marschmusik sorgte (mit freundlicher Unterstützung der Donezker Schützengilde Blasmyrdenarsch sowie KMW). Mir selbst wird die Goldene Himbeere für die Darstellung eines Influencers zuteil (gefördert durch Produktplatzierungen der Zellstoffproduzenten). Die Ukraine geht leider leer aus.

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