Erste Rezension zu Helga Bürster/Marianne Pumb: Mauerschatten

Gunda (Ost) trifft Hilde (West). Im Adlon, dem Berliner Nobel-Hotel. Zufällig. Unabhängig voneinander ist frau nämlich auf die Idee gekommen — frau gönnt sich ja sonst nichts —, ebendort den fünfzigsten Geburtstag zu feiern, mit Blick aufs Brandenburger Tor und auf die nicht mehr vorhandene Mauer, die zufällig auf den Tag genau so alt geworden wäre wie frau nun wirklich wird: fünfzig.

"Mauerschatten", ein Roman, der in diesen Tagen, rechtzeitig zum Jahrestag des Mauerbaus, Premiere hat, im Osten wie im Westen, ist ein gemein-deutsches Werk  zweier gnadenlos schräg und gottvoll anrührend schreibender Autorinnen, von Marianne Pumb (Berlin, Ost) und Helga Bürster (Dötlingen, West). Letztgenannte erzählt aus der Sicht Hildes, der Grundverzweifelten, Erstgenannte aus der Sicht Gundas, der Grundzufriedenen. Dann und wann, in den gemeinsam verfassten Kapiteln,  wechselt die Perspektive zu der einer dritten Person, das befördert die Kurzweil zusätzlich und vermeidet geschickt die Drift ins Rührselige oder in den Klamauk. Selbstironie wird erfrischend groß geschrieben, in jedweder Richtung. Wenn Gunda ihre behütete Kindheit ausbreitet, verdreht Hilde genervt die Augen. Um dann zuzugeben: In Wirklichkeit ist sie ja bloß neidisch. Neidischer vielleicht noch als Gunda auf Hildes schnelles pralles Leben. Ach ja, Ossi (behäbig und etwas zurück) und Wessi (taff bis durchgeknallt). Das Buch spielt mit den Klischees und führt sie zugleich ad absurdum. Gewiss, West trifft Ost trifft West. Aber auch: Studiert trifft Unstudiert, Sturzgeburt trifft Backröhrenkind, Vamp trifft Seelchen. Die Reibung, die dabei entsteht, zündet nicht nur funkelnde Feuerwerke  zum Quietschen komischer Situationen, sondern vor allem eine grundgütige Herzenswärme, die das Buch durchströmt wie ein leiser Dur-Akkord. Was einem beim Lesen öfter die Tränen in die Augen treibt, Komik oder Empathie, muss jeder für sich selbst entscheiden. "Küssekanne", "Dunkelkammer", "Kellerleichen": Oft genug weiß man nicht, was gerade überwog. Den ersten Kuss mit dem angehimmelten Altenpfleger etwa tauscht Gunda neben einer liebevoll aufbereiteten Leiche. Und dann dieser Knaller zum Schluss!

Helga Bürster und Marianne Pumb sind erfolgreiche Schriftstellerinnen, die auf zahlreiche Veröffentlichungen verweisen können. Bürster ist auch als Schauspielerin tätig, Pumb ist Lyrikerin "von Haus aus". Sie lernten sich bei einer Lesung kennen; Interesse am Werk der jeweils anderen und aneinander führte schließlich zu der Idee, gemeinsam etwas zu schreiben über verschiedene Lebenswege in zwei getrennten Deutschlands. "Mauerschatten" lässt jeder Autorin ihre eigene Sprache, ihren eigenen Fluss. Beider "Schatten"-Geschichten, die unterschiedlicher kaum sein können (wo sie doch soviel gemeinsam haben!), gewinnen dadurch eine Plasitizität und eine Wahrhaftigkeit, wie man sie heute auf dem Markt der gepflegten Leerworte viel zu selten findet.

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Reinhard Rakow
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