Gabriele Claaßen - „Vor allem anderen bin ich Mensch“ Stolpersteine in Hamburg (Antirasismusaktion)
„Vor allem anderen bin ich Mensch“
Stolpersteine in Hamburg
Mitte Oktober sahen wir eine Sendung im Fernsehen über die Geschichte des Judentums. Auch über die ehemalige größte Synagoge Hamburgs wurde berichtet, was wir sehr interessant fanden.
Eine Woche später waren mein Mann und ich in Hamburg, um unseren 5-jährigen Enkel Karlo zu betreuen. Wir holten ihn von der Kita in Eimsbüttel ab und begaben uns auf Spurensuche.
Wir fanden den großen Platz, wo die Bornplatz-Synagoge gestanden hatte.
Auf einer Gedenktafel lasen wir: „Nur gemeinsam geht… Erinnern, Begegnen, Respektieren“.
Wir überquerten den Platz mit dem Bodenmosaik, das den Grundriss und das Deckengewölbe des Gebäudes abbildet und kamen zur „Talmud-Tora-Realschule“, die gleich nebenan steht.
Was aber unseren Enkel am meisten interessierte, waren zum einen die beiden Polizisten, die am Ende des Platzes Wache schoben und kurz darauf die golden glänzenden bronzenen Stolpersteine auf dem Fußweg.
„Du, Oma, was ist das?“ „Das sind Stolpersteine.“
„Warum heißen die so?“ „Wir sollen über die Steine stolpern und sie sehen.“
„Du, Oma, was steht denn darauf?“ „Namen,“ antwortete ich.
„Welche? Liest du sie mir einmal vor?“
Ich fing an zu lesen: „Bertha, Richard, Leopold, Emil, Dr. Joseph, Dr. Hermann, Dr. Alberto, Benno, Artur, Ilse, Asriel, Sally, über 300 Schülerinnen und Schüler dieser Schule…. Und Julius.“
„Oh, fast wie mein Papa, er heißt Julian. Und was steht da noch?“
„Welche Berufe sie hatten… sie waren alle Lehrer… und sie wurden alle weggebracht.“
Die Wörter ´deportiert nach Theresienstadt, Ausschwitz, Minsk…`und ` ermordet in ...´blieben mir im Halse stecken und ich sagte leise: „Sie wurden woanders hingebracht.“
„Warum?“ „Ja, Karlo, das ist schwierig zu erklären, sie hatten eine andere Religion… .“
Aber das war für Karlo schon zu kompliziert und er meinte: „Das war aber nicht gut, oder?“
„Nein, das war nicht gut! Du willst ja auch nicht aus eurer schönen und gemütlichen Wohnung abgeholt werden.“
„Nein,“ rief er und hüpfte über die Steine zurück.
Zwei Wochen später, am 10. November, holte ich Karlo erneut von der Kita ab und wir gingen zu Fuß zu ihm nach Hause. Wieder gingen wir über einige Stolpersteine.
Und Karlo rief: „Schau einmal, Oma, jetzt liegt auf jedem Stein eine Rose.“