Gerd Meyer-Anaya . trotz alledem (antirassismusaktion - Vor allem anderen bin ich Mensch)

trotz alledem

was haben wir poeten noch zu sagen
wenn uns die worte
für das gegenwärtige fehlen
und uns gestammeltes schweigeen
zu mittätern macht

wir schreiben viel
aber da hat wenig zu sagen
wenn wir nicht mitreden
weil wir uns
im elfenbeinturm der poesie
 absichtsvoll verliefen
den ausgang mit vorsatz
nicht finden wollen
und dafür viele ausreden
wohlfeil parat haben

zugute halten
können wir uns allenfalls
dass wir versuchten
gegen das vergessen des grauens
anzuschreiben und es
eine dichtung nach auschwitz gibt
aber was haben wir
die nicht mehr
unmittelbar betroffene sind
für die der euphemismus
der gnade der späten geburt
erfunden wurde bewirkt

genauso wenig wie jener der sich
über den ersten weltkrieg
kundig und geschliffen empörte
 später in lagern konzentriert wurde
wo ihm selbst der größte aller preise
nicht die freiheit schenkte
sondern den tod bedeutete

und wenn wir bisweilen
 die stimme brüchig erheben
dann mit sowohl als auch
und einerseits andererseits
und der persönlichen relativitätstheeorie
die alles besagt
doch eindeutigkeit vermissen lässt
weil es auch noch ein
dies und jenes und überhaupt
und außerdem und darüberhinaus gibt
das berücksichtigt werden muss

ach ja
wir vergessen allzu oft und gerne
dass rechte mit pflichten verbunden sind
dass dichterische freiheit
mit trotz alledem erkämpft wurde
und die verpflichtung bedeutet
für deren erhalt und ausbau zu kämpfen
und solidarisch die zu unterstützen
in aller herren und frauen länder
denen man worte und freiheit stiehlt