Giele Reinke mit Rezension zu 'So stark bin ich - ein Schreib- und Buchprojekt von Menschen mit Behinderung'

Giela Reinke -Berlin

Gielareinkedie @ aol.com


- So stark bin ich-

„ Vom Leben gefesselt, vom Leben erdrückt-vom Kämpfen verwundet und doch voller Glück“,
Verea Wilcke


Der Geest-Verlag rief zu einem Schreibwettbewerb auf und mehrere hundert Autoren sind dem Aufruf gefolgt. Sie beteiligten sich an einer Ausschreibung und sandten Werke in unterschiedlicher Form ein - Gedichte, Essays und Erzählungen.
Doch so individuell die Beitragsmacher auch seien mögen, eines ist den Autoren gemein, sie alle sind Menschen, die sich mit ihren langfristigen körperlichen, seelischen oder geistigen Beeinträchtigungen auseinandergesetzt haben. 10 bis 15 % der Bevölkerung müssen körperliche Schwächen , infolge eines Schicksal - Schlages hinnehmen, andere werden von Ängsten beherrscht, die zu einer Persönlichkeitsstörung oder zu  einer Zwangskrankheit führen können. Negative Kräfte, die Menschen bedrohen machen hilflos und orientierungslos – Ängste werden zu Begleitern, die die Betroffenen zwingen, sich jeden Tag mit ihnen auseinander zu setzen.

„Meine Lebensfreude geht mir verloren – ist das für immer? Heute habe ich durchgehalten, doch was ist morgen? – Ganz egal, was ich tue, wie ich jetzt oderkünftig denke, handle, spreche oder schweige, ob ich in einer Villa oder im Wald lebe. So oder so wird mein Dasein auf diesem Planeten immer ein harter und dornenreicher Kampf ums Überleben sein und bleiben.
Nelia Borgast. “


Diese Phase haben alle Autoren durchlebt. Das Buch handelt von den Herausforderungen, die die Krankheit ihnen aufgezwungen hat. Die Kämpfe gegen die Melancholie, die Wut und die Trauer - hier sind sie dokumentiert, allesamt Wegbeschreibungen vom wiedererlangten Selbstvertrauen.

„ Erst deine Schwäche und wie du damit umgehst, macht dich wirklich stark. Ich bin dein Schatten, ich heiße Diabetes. Ich bin jetzt immer bei dir, - du musst gesund leben, sonst geht es uns beiden nicht gut…. Vielleicht gewöhne ich mich an dich, wir können schließlich auch noch Freunde werden.
Kirsten Bohnen..“


Das Kämpfen und das Durchhaltevermögen gehört zum Leben der Autoren, ein Leben mit Anstrengungen, das „Normmenschen“ kaum erlernen müssen. In einer Leistungsgesellschaft irritieren körperliche oder geistige Beeinträchtigungen. Diffuse Erregungszustände, Überreizungen, eine verlorene Übersicht und Orientierungslosigkeit verunsichern das Gegenüber. Doch wann geht der Bezug zur Realität verloren und welche Realität ist die Norm?

„Die Geister und Dämonen begleiten mich Tag und Nacht, ich bin also niemals allein oder einsam. Doch ich will leben, ich will ich sein und mich mit meinen zuflüsternden Stimmen versöhnen.“
Axel Jesse
 


Wann halten Menschen mit körperliche Beeinträchtigungen den hektischen Alltag und damit die Gesellschaft auf, welche Fähigkeiten gehen wiederum den Normmenschen verloren?

„ Die permanente Finsternis nahm mir die Lust zum Atmen, eine undurchdringliche Mauer verbannte mich in einen finsteren Keller und doch…..Meine Stärke als Blinde ist, dass ich mehr fühle und bemerke, als meine Mitmenschen um mich herum.“
Christin Bartling


Das Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit, nach Liebe, Nähe und Geborgenheit ist allen Menschen gemein. Die Angst ausgegrenzt zu werden, verunsichert die Psyche grundlegend.
Die Autoren kennen die Stigmatisierung, sie haben die Trauer, das Verletzt-sein und die Wut durchlebt. Doch sie wollen Frieden schließen mit der eigenen Person. Das eigene Wohlergehen und die Selbstverantwortlichkeit machen sie zu ihrer Aufgabe.

„ Gedichte zu schreiben ist keine Stärke von mir. Der Mut, es tu tun wird zu einer Stärke. Auch die Wahrheit zu sagen, wird zu einer Stärke
Kevin Neubauer
„Ich habe mich angenommen so wie ich bin. Meine Kraft ist die Fantasie, ich war getröstet- ich kann Geschichten erzählen, meine Gedanken können fliegen. Christiane Schwarze“


Individuelle Träume. Sehnsüchte und Glücksmomente sind zum festen Bestandteil ihres Lebens geworden.

„Mein Körper ist ein krankes Kleid, das ich von Zeit zu Zeit zerschneide. Ich schlüpfe dann, wie ein Schmetterlins aus diesem hinderlichen Ding, bewege mich genussbewusst – auch kranke Körper kennen Lust.
Sylvia Novak


All die mit einer Beeinträchtigung lebenden Autoren, machen durch ihre persönlichen Lebensbeschreibungen, sich und anderen Mut. Auch Leser in normaleren Lebensumständen können eintauchen und verschiedene Situationen kennenlernen. All ihnen ist ihre innere Sicherheit wichtig, nur so können sie sich als ein autonomes Individuum fühlen. Ein bemerkenswertes Buch, die Siegerin des Schreibwettbewerbes fasst zusammen:

„Stärke ist nicht viel zu können, sondern gegen die eigenen Grenzen zu bestehen. Stärke ist, sich seinen Ängsten zu stellen und nicht aufzugeben, auch wenn es weh tut.
Sarah Schieferstein