Hartwig Mauritz rezensiert Eva Boßmann - farben.blind. Gedichte

Dunkelfarben und Leuchtfeuer

[Anmerkungen zum neuen Gedichtband „farben.blind“ von Eva Boßmann]

Eva Boßmann lebt in der Nähe von Aachen und arbeitet als Krankenschwester im Uniklinikum. Sie hat täglich mit Menschen zu tun, die ihr Sprachvermögen z.B. in Folge eines Schlaganfalls teilweise oder ganz verloren haben. Dort leitet sie mit einer Kollegin zusammen eine Literaturgruppe, um die Patienten zum Lesen und Sprechen zu motivieren. Spracharbeit leistet Eva Boßmann ebenfalls im Vorstand des Literaturbüros in der Euregio Maas-Rhein.

Die Texte in Eva Boßmanns zweiten Gedichtband farben.blind, der 2015 im Vechtaer Geest-Verlag erschienen ist, beschreiben innere Prozesse, die in semantischen Brechungen und in Naturbildern ihren Ausdruck finden. Dunkle Bilder, denen ein poetisches Leuchten innewohnt.

Der Band ist in sieben Kapitel unterteilt. Das erste „drehe den vater im grab“ enthält das Gedicht „sudan/ entstelltes darfur“, für das sie 2013 den postpoetry Lyrikwettbewerb der Kunststiftung NRW gewann. In beunruhigenden, verstörenden Bildern kommt das Entsetzen über eine Normalität im Schrecken zur Sprache, ohne mit Meinung an das Gewissen zu appellieren.

In „gehörnter konvoi“ [S. 10] dreht sie den Vater „mit der zungenspitze im grab“ und sieht durch seine Augen „die flußlandschaft und alles was fließt“. Und in einem weiteren Gedicht [S.12] fragt die Autorin „wer singt im chor das requiem/ damit ich endlich fallen kann/ aus dem leben in eine handvoll“ und „nach lautloser zeit“ [S.13] „kommt der tod/ in eimern ans flußufer“. Fluß und Wasser bilden für die vom Niederrhein stammende Autorin eine wichtige Bildebene.

Der zweite Abschnitt des Buches „unter der haut gebrochene flügel“ entführt den Leser zu Orten u.a. zu einem Kalkwerk im Aachener Süden, das nach dem Krieg gesprengt wurde und in dem noch die Brechstangen brach liegen [am hang S.17]. Immer wieder hat die Liebe keinen Ort in diesen Gedichten und wartet auf den Sommer und „wächst gras durch den kopf/ abdrücke deines körpers tiefer“ [kein ort S. 21]. Und schließlich haben in den „neubauten“ [S. 20] „alle läden/betonböden schwere füße/ nichts was trägt“.

Die Gedichte im Kapitel „nebenan die wiese bevölkert“ vermitteln vordergründig eine anheimelnde Atmosphäre, die durchbrochen wird von unterschwelligen Aggressionen des lyrischen Ichs. In „durch den fensterblick sagt du“ heißt es “strandest aus dem schneetreiben/ auf schollen, weiß/ mit hintergrundmusik/ in der hand einen karabinder/ und viele einschüsse auf der eisdecke“. Da ist immer wieder das Bild des Fensters, das Eva Boßmanns Gedichte durchzieht, und so nimmt es nicht Wunder, dass das „dein bild aus den fenstern fiel“[S.45] und dass „wind auf freies feld/ in offene wunden“ fällt. Da gibt es „all die dunklen pausen“ [S.41], in denen man leben muss „mit der gefahr, den abhang/ hinabzurutschen, den ganzen berg/ bis vor die füße“.

Im Abschnitt „die gedachten stunden hörbar“ sind Liebesgedichte versammelt, in denen die Sinne sich mit der Natur verbinden und in denen die Liebe dem nahenden Winter standhalten muss. Und immer wieder wird dabei der Zeilenbruch gekonnt gesetzt, so in „luftblicke“ (S.55). „blätterwald in den haaren/gespeicherte restwärme/ werden den winter überstehen/ in den abschieden/fliegen die schwalben tief/ wird der sommer nicht warten“. So bildet der Zeilenbruch in Eva Boßmanns Gedichten, die keine Interpunktion enthalten, ein wichtiges Strukturelement.

Den Abschluss des Gedichtbandes bildet das Kapitel „Kommunikation mit den nordlichtern“, das uns in Regionen entführt, wo „sonnenstürme in tromsö“ toben und in „berichten über 2000 jahre“ Nordlichter als „mittelalterliche vorboten/ von seuchen unheil/ über die wikinger“ brachten. Hier findet sich das Motiv der Farbe wieder, die sich als aurora borealis (S.59) aus dem schwarzen subpolaren Nachthimmel abhebt. Als erstes Gedicht des Kapitels schildert „aurora borealis“ eine Begebenheit, die der Amateur-Astronom Richard Carrington während eines Sonnensturms 1859 im Kew-Observatorium in London aufgezeichnet hat. Der bisher größte wissenschaftlich beobachtete magnetische Sturm richtete beträchtliche Schäden an den Telegrafenapparaten an, so dass „einer nach dem anderen/ brennt papier, füllung, kupfer schmilzt“.
Ein wahrhaftes Leuchfeuer an Bildern, eine poetische aurora borealis entfacht Eva Boßmann mit ihrem Gedichtband, das seine Kraft erst in einer dunklen Umgebung entfaltet.


sudan
entstelltes darfur

in hart gebrochenem land
stehn sie in gummistiefeln herum
knöcheltief erst
dann rinnt der sand
bis über den schaft
wieder einer vollgelaufen
mit blutverschmierten händen
kommen
um dann doch nichts zu geben
der kleinste baumelt am galgen
während der tusch spielt
im basar wird gefeilscht
zwischen hundegebell und kindergeschrei
die sonne wälzt sich den berg hinab
nebel zieht auf
vielleicht wird es morgen noch heißer
für die miliz
in staubigen lederstiefeln

Eva Boßmann
Farben.blind, Gedichte
69 S. Geest-Verlag, ISBN 987-3-86685-507-6, 11 Euro

Hartwig Mauritz