Heribert Rück las aus 'Wege und Zeichen' im Erzählcafé im Dorfgemeinschaftshaus Salzböden

 Der Gießener Anzeiger berichtet in seiner Ausgabe vom 7.1.

 

Erinnerungen an geschaffene Fakten

06.01.2010 - SALZBÖDEN

Erzählcafé mit Lesung zum Sudetenland von Heribert Rück

(sl).
Mit einer Geschichte über ein neues Jahr, begann Ute Stephan das erste
Erzählcafé 2010 im Dorfgemeinschaftshaus Salzböden. Dabei konnte sie
wieder zahlreiche Besucher begrüßen, unter ihnen auch Professor
Heribert Rück aus Biebertal, der sich bereit erklärt hatte, aus seinem
Buch "Wege und Zeichen" eine Kostprobe zu lesen. Rück, 1930 in
Marienbad geboren, war 20 Jahre Professor an der Universität
Koblenz-Landau. Er erfüllte sich im Ruhestand seinen lange gehegten
Wunsch, einen Roman zu schreiben.

2005 erschien sein Erstlingswerk, aus dem er vorlas, und 2009 folgte
"Mirka", eine Nachkriegsgeschichte, die sich an sein erstes Buch
anschloss. Vorerst jedoch schmunzelten die Anwesenden als Stephan eine
Geschichte vom neuen Jahr erzählte. Dabei waren alle am Jahreswechsel
Beteiligten im Himmel pünktlich versammelt, nur das neue Jahr fehlte
noch, und konnte auch nirgends gesichtet werden. So machten sie sich
alle auf die Suche, und entdeckten es gleich neben der Himmelspforte,
wo es sich verkrochen hatte. "Was hast du dir dabei gedacht", grollte
Petrus: "Du bringst mit deinem Verhalten den ganzen Weltenlauf
durcheinander." "Ich hatte Angst", gestand das neue Jahr freimütig,
"denn alleine soll ich während der 365 Tage die Verantwortung für die
ganze Welt tragen". Es tat Petrus leid, und so machte er ihm Mut: "Auch
wenn du nicht fertig wirst mit deiner Arbeit, es kommt nach dir wieder
ein neues Jahr. Manche Dinge brauchen eben Zeit, und machen viel Mühe,
aber einmal müssen sie begonnen werden, und das ist nun deine Aufgabe",
sagte er und schob das neue Jahr sanft zur Himmelspforte hinaus auf die
Erde, wo ihm die Menschen einen begeisternden Empfang mit Böllern und
Raketen bereiteten.

Es gibt immer am Jahreswechsel gute Vorsätze, aber werden sie auch von
uns umgesetzt, stellte Stephan die Frage. Wir haben zwar dem Leben
Jahre hinzugefügt, aber nicht den Jahren Leben, und unsere Wissenschaft
schickt Menschen auf den Mond, aber an die Tür des Nachbarn zu kommen,
ist vielen zu weit. Ein freundliches Wort, ein Lächeln, oder eine
Umarmung, die von Herzen kommt, sind Dinge, die mehr wiegen als Geld
und Gut. "Ein Jahreswechsel ist die Zeit, um nach vorne zu schauen, und
birgt immer auch die Chance, das vergangene Jahr mit seinen
Geschehnissen abzuschließen und Platz zu machen für die neuen zwölf
Monate", erklärte Stephan.

Die Lesung mit Heribert Rück aus seinem Buch "Wege und Zeichen - eine
Jugend im Sudetenland", war keine regionale Geschichtsschreibung,
sondern vielmehr eine literarische Auseinandersetzung, die Einblicke in
eine Zeit des Umbruchs gibt. Um dies besser verstehen zu können, gab
Rück einen Rückblick auf die Geschichte der damaligen Zeit, und begann
1918, als die tschechische Republik gegründet wurde, und rund 3,5
Millionen Deutsche dort wohnten, die keine Tschechen sein wollten. Vier
Abgeordnete des Parlaments in Prag baten das österreichische Parlament,
für diese Deutschen einen Sonderstatus einzurichten, dass sie einmal zu
Österreich gehören sollten. Ehe in Wien aber ein Beschluss gefasst
werden konnte, schuf die tschechische Armee Fakten, und marschierte in
die deutschen Siedlungsgebiete ein. Böhmen und Mähren wurden nun
Tschechien einverleibt. Ab 1935 verschlechterte sich die Lage der
Deutschen und sie wurden aus allen öffentlichen Ämtern entfernt, wenn
sie nicht fließend tschechisch sprachen. Das traf auch den Vater von
Heribert Rück. "Das war dramatisch für die ganze Familie, denn die auf
dem Haus liegenden Hypotheken mussten bezahlt werden", erinnert er sich
an die damalige Zeit. So wagte sein Vater den Sprung in die
Selbstständigkeit, und gründete eine kleine Gärtnerei, in der die ganze
Familie mitarbeitete. Als 1938 Hitler dann einmarschierte, wurde er
begeistert begrüßt, denn man glaubte, nun würde alles besser werden.

 

Beim ersten Erzählcafé in Salzböden gab es eine Lesung von Heribert
Rück aus seinem autobiografischen Roman "Wege und Zeichen - eine Jugend
im Sudetenland". Bild: Scherer