Hoffnungstexte: Shannon Wozniak - Die Hoffnung darf nicht sterben

Die Hoffnung darf nicht sterben

Liebes Tagebuch,

bevor ich meinen ersten Eintrag schreibe, stelle ich mich kurz vor: Ich heiße Sera, bin zwölf Jahre alt und lebe im Irak.
Jeden Tag, seit ich denken kann, habe ich Angst zu sterben, da immer wieder Bomben auf unser Dorf fallen. Aber darf jemand, der so jung ist, durch einen Krieg sterben? Es sollte nicht so sein. Ich habe meine ganze Zukunft doch noch vor mir. Ich möchte in die Schule gehen, mich mit meinen Freundinnen treffen und Spaß haben. Ich möchte mich verlieben und irgendwann einmal selbst Kinder haben. Deshalb gebe ich die Hoffnung niemals auf.
Vor einigen Wochen traf eine Bombe die Hauptstraße – das hört sich vielleicht nicht so schlimm an, aber dabei ist mein kleiner Bruder getötet worden. Er war erst neun Jahre alt.
Ich hoffe jeden Tag, dass meine Eltern und ich den Krieg überleben. Obwohl ich schon so viel unvorstellbar Schreckliches erlebt und gesehen habe, gebe ich die Hoffnung nicht auf. Dass dieser Krieg endet. Ich bete jeden Tag dafür, dass dieser grausame Krieg, das Töten, endlich aufhört und wir endlich in Frieden leben können.
Während ich diesen Tagebucheintrag schreibe, sterben unschuldige Menschen, Männer, Frauen und Kinder.
Draußen explodiert schon wieder etwas. Alles wackelt. Die Bombe muss in der Nähe eingeschlagen sein. Ich gucke nach draußen und sehe schon wieder Tote. Auch meine Mutter ist darunter. Sie liegt voll mit Blut und Staub auf der Straße.
Es erschreckt mich, wie fast unbeteiligt ich darüber schreiben kann. Ich bin noch ein Kind, habe aber so viel Grausamkeit und Blut gesehen, dass es für mehr als das ganze Leben reicht. Niemand sollte so etwas erleben müssen. Niemand sollte wegen eines Krieges sterben müssen. Ganz gleich, aus welchem Grund die Kriege geführt werden. Ich verstehe das nicht, dass man sterben muss, einfach weil der gleiche Gott einen anderen Namen hat. Oder aus Profitgier. Aber ich bin ja auch erst zwölf Jahre alt.
Ich sage immer wieder zu mir, der Tod hat einen Vorteil. Du bekommst nicht mehr mit, was noch alles passiert. Es ist einfach vorbei.
Andere Stimmen in meinem Kopf sagen mir: „Sera, du schaffst das, du hast so viel Hoffnung und glaubst daran, dass der Krieg bald vorbei ist.“
Ich werde so lange mein Tagebuch führen, bis sich meine Hoffnung erfüllt hat. Der letzte Eintrag soll sein: „Der Krieg und das Töten sind vorbei. Ich habe überlebt. Gut, dass ich die Hoffnung nie verloren habe. Jetzt kann ich anfangen zu leben.“

Deine Sera

Als der Krieg zu Ende war, wurde das Tagebuch von den Befreiern gefunden. Mit Erschrecken und Tränen in den Augen las der Soldat, dass nur noch acht weitere Einträge geschrieben worden waren.

Shannon Wozniak (18 Jahre)