Interview der WAZ mit Artur Nickel zum neuen Schreibwettbewerb für Jugendliche im Ruhrgebiet
Das Wasser erzählen lassen
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http://www.derwesten.de/staedte/wattenscheid/das-wasser-erzaehlen-lassen-id6546791.html
Wattenscheid. Zum mittlerweile achten Mal sind Kinder und Jugendliche aufgerufen, schreibend Position zu sich selbst, ihrem Umfeld und ihrem Lebensraum Ruhrgebiet zu beziehen. Das Rahmenthema ist diesmal: „Wenn Wasser erzählt.“ Die gesammelten Texte sollen im November erscheinen. WAZ-Mitarbeiter Fabian May sprach mit dem Wattenscheider Lyriker und Deutsch- und Religionslehrer Dr. Artur Nickel, der den Sammelband mitinitiiert und mitherausgibt, darüber, wie sich eine Generation junger Ruhrgebietsbewohner durch diese literarische Situationsbestimmung eine eigene Kultur erschreibt.
Was schreiben Sie selbst?
Dr. Artur Nickel: Ich schreibe Lyrik, um mich selber auszudrücken und um Dinge zur Sprache zu bringen, die vielleicht sonst nicht gesagt würden. Ich möchte zwischen den Worten ausdrücken, was ist. Es geht mir darum, hinter die Worthülsen zu schauen und um die generelle Frage: Was kann Sprache dazu beitragen, dass man sich selbst und seiner Welt begegnet?
Wie kam die Idee zum Thema Wasser zustande?
Es ist eine Eigenheit dieser Ausschreibungen, dass sich das neue Thema aus dem vorangegangenen ergibt. Bei den letzten Einsendungen, in denen die Jugendlichen geschrieben haben, wie sie zwischen ihren fünf bis sechs verschiedenen Lebenswelten unterwegs sind, hat sich das so herauskristallisiert: Wasser spielte in den Texten immer wieder eine Rolle. Es ist für die Schreiber in verschiedensten Zusammenhängen ein Thema.
Bei aller gewollten Ergebnisoffenheit: Können Sie ein genaues Erkenntnisinteresse formulieren?
Was die Jugendlichen tun, ist, sich selber sprachlich zu verorten. Eine Situationsbestimmung durch Sprache. Es ist interessant zu erleben, wie sie das tun.
Da wollen Sie möglichst wenig stören?
Richtig. Es ist wie bei der Shell-Jugendstudie, nur konkret und persönlich. Meines Wissens sind die Essener Anthologien das einzige freie Buchprojekt für Jugendliche in Deutschland, an dem Migranten beteiligt sind, das so erfolgreich ist.
Wie erleben die Jugendlichen denn ihr Ruhrgebiet?
Es tritt als Schmelztiegel auf. Die jungen Schreiber bleiben aber nicht dabei stehen, ihre eigene Lage zu beschreiben, sondern im Schreiben entwickeln sie sich kulturell weiter. Es sind z. B. Kurden, Türken, Iraner oder Afghanen dabei, für die es nach wie vor so ist, dass sie von der Schule nach Hause kommen und mit Betreten der Wohnung in einer anderen Welt sind. Das Schreiben in deutscher Sprache bringt diese Kultur jenseits der Türschwelle mit. So bauen die Jugendlichen Brücken. Und man kann an ihnen verfolgen, wie das auch unsere deutsche Sprache weiter bringt, Millimeter für Millimeter. Beim Schreiben der Texte können die jungen Menschen sich persönlicher einbringen, als das in der Schule möglich ist.
Meinen Sie, die Schulen sollten ihren Bildungsbegriff erweitert denken?
Auf jeden Fall. Als Lehrer und Projektleiter habe ich Einblick in beide Welten. In der Schule würden sich viele Kenntnisse besser vermitteln, wenn die Inhalte den Weg „durch die Persönlichkeit des Schülers“ nehmen würden. Das Lesen einer Lektürehilfe führt beispielsweise nicht unbedingt dazu, dass jemand Schillers „Räuber“ persönlich begreift.
Wie begreifen Sie den Lebensraum Ruhrgebiet?
Ich bin seit 1986 hier. Vorher war es nie ein Ort, wo ich hin wollte. Ich komme aus Marburg, habe in Tübingen studiert und bin wegen der Arbeit hierher gekommen. Meine ganze Familie ist hier. Inzwischen ist mir das Ruhrgebiet sehr ans Herz gewachsen.
Fabian May