Irmgard Lauff - Epilog zu 'Wenn man aufhören könnte zu suchen'
Epilog
Ich setzte mich an den Computer, um einen Schlusssatz zu schreiben oder zwei, drei oder mehr, um das Suchen zu be-enden. Endlich nicht mehr suchen, was nicht zu finden ist. Ich habe nicht gefunden, was ich finden wollte. Ich habe den Vater gesucht, den fremden Vater. Es ist, als würde ich ihn nie finden, den kranken Mann, den gebrochenen. Ich habe versucht, sein Leben zu erfinden, um mit ihm zu sprechen, Gespräche, die es nie gab, nie geben würde. Es war, als habe er mich in die Lager geschickt, in die Lager, in denen er als UK gearbeitet hatte. Der unabkömmliche Vater. Was hatte er gesehen, was war ihm begegnet? Er musste vieles gese-hen haben, oder arbeiteten sie so abgeschottet, dass sie nur den Teilbereich ihrer Arbeit kannten? Haben sie wirklich die Gefangenen, die Gequälten nicht gesehen? Haben sie alles in diffusen Nebel voller Angst und Unklarheit gehüllt? Ich habe versucht, die Nebel zu lichten. Habe ich jetzt mehr Klarheit, vielleicht sogar als er selbst, oder habe ich nur eine kleine Ahnung von dem, was er wusste, gesehen hatte und fürchtete? Er hat seine Angst mitgenommen. Angst, die ihn permanent begleitet hat. Das hat mir der Nachbarsohn er-zählt, der, den er auf seine Reise mitnehmen wollte, die dann Vaters letzte wurde. Eine Familienfeier hatte das Kind abgehalten, mit dem geliebten ‚Onkel‘ auf die Insel zu flie-gen.
Vater hat mir Fragen hinterlassen, die Fragen, wie der Mensch in der Angst zum gefügigen Untertan und Teufel werden kann. Wie er sich in die Ketten der Räder einspannen lässt, um Armut und Schande zu entkommen. Nur dem eigenen Profit nachrennend, seine Menschlichkeit und Ur-teilskraft verlierend, überlebt er als Krüppel, auf seinen Stock gestützt, den schweren Leib über die Erde stoßend und mit aller Kraft gegen das Erkennen des Bösen kämp-fend, an dem er – wie doch fast alle –, was es nicht besser macht, beteiligt war. Mit der Flucht vor seinem Kind hat er mich in die Geschichte geschickt zu den geschundenen, ge-demütigten Toten und Überlebenden, vor denen er in Wirk-lichkeit davonrennen wollte, aber seine Beine und sein schwerer Körper streikten, sein krankes Herz ließ ihn zum Gefangenen seiner Schmerzen werden für den Rest seiner Zeit.
Er ging weg.
Das war sein Weg.
Und ein paarmal haben sich unsere Wege gekreuzt.
Anhang | Größe |
---|---|
![]() | 212.16 KB |