Jenny Schon - Annette (von Droste-Hülshoff)

Jenny Schon

 

 

Annette

10.1.1797 – 24.5.1848

 

Deine von Papilloten gedrehten

Löckchen verdecken die Ohren

auf unserem Zwanzigmarkschein

längst vergangen wie die Mode

des Lockendrehens

oder? würde mit der Mark auch

das Biedermeier wieder kommen

 

Im Turm hörst du den Sturm

hörst wie er den First umbraust

hörst die Freiheit

die Männern gegeben

nicht aber Frauen

hörst die Stare

sich streiten hinter dem Gemäuer

 

Siehst den Geliebten

schreiten rauchig

schmeckt sein Kuß

beim Hirtenfeuer

das dir in den Fingern brennt

und Robert entflammt

Clara wird dein Libretto

reichlich entlohnen

 

Ja, laß sie flattern

die Haare im Wind

bei der Judenbuche

wird sich das Schicksal entscheiden

du mußt sie nicht heimlich lösen

du wurdest öffentlich

und nach hundert Jahren haben wir

deine Werke gelesen und

lesen sie noch heute[1]

 

 

 

 

 

aus: endlich sterblich, Gedichte, Geest Verlag, 2016

 

 

 

 




[1] Annette von Droste-Hülshoff,  Dichterin, Sängerin, Komponistin, Librettistin, 12.1.1797 – 24.5.1848;

Am Turme, Gedicht, handelt von der Unfreiheit der Frau, die gern ihr Haar lösen würde und bedauert, dass der Himmel nur dem Manne rät;

Das Hirtenfeuer, Gedicht, vertont von Robert Schumann (op. 59,5);

Clara Schumann gibt bei ihr ein Libretto in Auftrag;

„aber nach hundert Jahren möchte ich gelesen werden, Ausstellungskatalog, Wiesbaden 1997

1964 interpretierte ich das Gedicht „Am Turme“ für den Deutschunterricht auf dem Silbermann-Abendgymnasium Westberlin bei Dr. Horst Schulze, der mir damals eine Eins dafür gab.
Heute schreibt er zu dem Gedicht: „Sehr gut, Deine Annette! Da bist Du über so viele Jahrzehnte auch Dir selber treu geblieben, sprachlich immer klarer: Da steckt Jenny dahinter, die spricht.“