Jenny Schon - Kurfürstendamm, ausgestellt an das Jahr 1968 gedenkend Attentat am 11. April – Für Rudi
Jenny Schon
Kurfürstendamm, ausgestellt
An das Jahr 1968 gedenkend
Attentat am 11. April – Für Rudi
…gejagt vom Leben
ist das Wildtier in mir
müde geworden
die Steppenstute
grast nicht mehr
im Duft der Alphahengste
die internationalen
Filmfestspiele finden
anderenorts statt
mein Flattern übern
Kudamm gleicht dem eines
sterbenden Schwans
Fotos zeigen Freunde
den Wasserwerfern trotzend
noch ist der aufrechte Gang
ungebrochen beim Marsch
durch die Institutionen haben
sie Federn gelassen
ich suche dich
im Stakkato
von hohohoshiminh
und Leute lasst das Gaffen sein
kommt herunter reiht euch ein
walzten wir die Spießer platt
mir ist es fremd
geworden das Pflaster
in das abertausende
zornige Schritte den
Muff von hundert Jahren
stampften
der Alltag ist politisch
wie das Private
hieß es
die Flaneure heute
mit dem Handy vor der Neese
mit Stöpseln im Ohr
hören nichts sehen nichts
Dieselskandale
wabbern über den
Asphalt Labelklamotten
haben Buchläden
und Galerien verschluckt
ein Kaffee im Vorübergehen
das Filmhaus Wien wird
ein Bergfried in dem
Apple Store herrscht
als Zeitgeist
Ton ab Klappe…
ein neuer Film wird gedreht
die eigene Geschichte zu begründen
müsstet ihr erst mal lauschen
beobachten sortieren
müsstet ihr teilnehmen
nicht als Alien
als Mensch…
aus: lautes schweigen, Gedichte, Geest Verlag, Vechta, Herbst 2018
Zum Gedenken an das Jahr 1968, das in Westberlin hauptsächlich durch Demonstrationen – meist von Studenten - auf dem Kurfürstendamm erinnert wird, war eine Fotoausstellung bei dem denkmalgeschützten sog. Verkehrshäuschen installiert worden.
Die Fotos zeigen die allseits bekannten Begebenheiten wie den Vietnamkongreß und die anschließende Demonstration, das Attentat auf Rudi Dutschke, Ausschreitungen gegen Springers Verlagshaus, Kommunardenspäße etc.
Die langfristig gesellschaftlich relevante Entwicklung aus der Protestbewegung, die Kinderläden und eine andere Erziehung und die gesellschaftliche und rechtliche Gleichstellung der Frauen ist nur ansatzweise gezeigt.
Auch viel zu wenig ist gezeigt, dass sich Gesellschaft nur verändert, wenn der Großteil der Gesellschaft, besonders der jungen Leute, mitmacht bzw. wie es gelingt, die sogenannten „Massen“ zu erreichen, was ja tatsächlich innerhalb eines Zeitraums gelungen war. (Hunderttausende in der Anti-Atombewegung etc.)