Jenny Schon

Rainer Maria Rilke

zum 140. Geburtstag

4. Dezember 1875  † 29. Dezember 1926

Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,
Niemandes Schlaf zu sein unter soviel
Lidern.

Auf Rilkes Grabstein in Raron (Schweiz)

Nachtschatten

eines schlaf zu sein

unter tausenden lidern

liegt Rilke neben mir

auf meinem nachttischchen

ich zähle seine wimpern

jeden abend

ich kann nicht schlafen

Berberitzen flammen

speerspitzen der

gatter im tigerkäfig

stoßen in mein herz

gebrochene augen

starren auf den schlagschatten

der nacht

seit jenem moorlicht

trage ich sein kind

zwischen buchdeckeln

die sich wölben

unfruchtbar

sein herrgott

hat kein erbarmen

mit dem süßen wein

machte er mich

süchtig nach der liebe

von worten gehaucht

in die poesie der nacht

aus:

Jenny Schon

„endlich sterblich“, Gedichte, Geest Verlag, Vechta, 2015