Jenny Schon - Zur Erinnerung an den 9. November

Jenny Schon
Zur Erinnerung an meine Mutter, die am 9. November 1945 mit mir im Kinderwagen nach der Vertreibung aus ihrer Heimatstadt Trautenau und Vergewaltigung durch tschechische Miliz im sicheren, aber total zerstörten Rheinland ankam, das sie wie andere Frauen mitaufbaute. Viele Männer waren noch in Kriegsgefangenschaft

Aus einer Fremden wird eine Einheimische

Meine Mutter kann nicht in Ruhe gehen…
Die Schemen von
Neunzehnhundertfünfundvierzig quälen sie
Sie verkabelte im Postamt 
Trautenau mit der Welt
Was war daran falsch
Sie flirtete mit einem Soldaten
Von dem sie schwanger wurde 
Auch das ist noch
Kein Verbrechen er war leider nicht
Katholisch aber Oma und Opa liebten ihn
Wenn er kam vom Flughafen Königgrätz
Wo er Dienst tat als Elektriker
Auch das ist kein Verbrechen
Er hatte noch nicht mal eine Schusswaffe
Und war wegen Plattfüßen flugunfähig

Meine Mutter kann nicht in Ruhe sterben…
Sie schmissen sie raus jene die früher ihre
Nachbarn waren und jetzt die neuen Herren
Wegen diesem Mann aus Deutschland
Den Opa quälten sie und sperrten ihn ins KZ
Er war ein kleiner Nachtwächter vielleicht
Hat er nachts zu viel gesehen das ist
Mitunter ein Verbrechen gewiss
Überhaupt zu sehen…

Diese Bilder quälen meine Mutter
Auf ihrem Totenbett auch dass
Die Verwandten im fernen Rheinland
Sie nicht wollten ihr Obdach verwehrten
Eine Fremde wollte keiner in
Seinen Reihen in seinen zerbombten
Mauern da wollte man zusammenhalten
Unter sich sein Fremde sind immer
Eine Gefahr ein Enkelkind unterschieben
Kann jede die daher gelaufen kommt

Meine Mutter hat gekämpft
Rheinisch gelernt und Karneval gefeiert
Hat ihnen die Trümmer weggeräumt und
Ihren Dreck weggekehrt es war schwer sagt sie
Und hat lange gedauert…
Nun liegt sie mit diesen Bildern auf dem Sterbebett
Ich habe ihre Hand gehalten und die Bilder mitgenommen
Jetzt kann sie gehen bald
Hoffe ich…In Frieden

Meine Mutti - 
Anni Schon geb. Schwantner ist gegangen…
Am 30. Mai 2015 in Brühl,
wo sie am 9.11.1945 mit mir im Kinderwagen
nach der Vertreibung durch die Tschechen gelandet ist.
Ihre letzten Worte waren:
Das hab ich doch gut gemacht, nicht Kind?
Ich habe Kölsch gelernt.
Sie ist als Einheimische verstorben.