Katharina Körting - Frauenkampftag im Krieg

Frauenkampftag im Krieg
„Zweiter russischer General wird bei Charkiw getötet“, titelt eine Zeitung. Ich überlege, ob ich mich darüber freuen muss, soll, darf, aber ich spüre nichts. Stimmt die Information überhaupt? Im Krieg stimmt ja eigentlich nichts mehr, aber auch die Leute in meiner Timeline haben sich mit militärischem Vokabular bewaffnet. Sie fachsimpeln ähnlich gewandt über Kampfstrategien und Waffenkompetenzen wie bis vor kurzem noch über Spike-Proteine.
Die Nachbarn über mir haben immer samstagvormittags Sex. Dann macht die Zimmerdecke Geräusche. Stimmen sind nicht zu hören, nur das quietschende Bett. Wenn ich andere Leute beim Sex höre, fühle ich mich ausgeschlossen und zugleich eingeschlossen: Ich darf nicht dabei sein und muss.
Passt eigentlich gar nicht zu denen, ein quietschendes Bett. Die Frau grüßt nie und lächelt auch nicht. Manchmal trägt sie eine dunkle Brille, dann frage ich mich, ob er sie schlägt. Der Mann trägt Jacken, die militärisch aussehen, irgendwie olivfarben. Auch sein Fahrradhelm wirkt soldatisch. Wie eine Reminiszenz an „Im Westen nichts Neues“.
Frühmorgens ging ich in den Park und ließ mich vom Puckern der Spechte entzücken. Ich suchte den Baumhimmel ab und sah sogar einen. (Sie tun immer so laut, tatsächlich sind sie überraschend klein und auch im noch kahlen Frühfrühling gut getarnt.) Der kleine See lag in ein irres Rosa getaucht wie ein Geschenk, so weh tat es. Als Zugabe gab es die Enten. Ich liebe die Geräusche, die sie machen. Der Sinn jedes Schreibens erlischt, wenn man ihnen zuhört. Eine schwamm auf mich zu, ganz ruhig, ganz still, zielgenau für sich hin, und ohne jede Bedrohung. Das mag ich auch an Enten.
Ich denke an das vergangene Wochenende. Ich hatte an einer Schriftstellerfreizeit teilgenommen. Ein Programmpunkt war interessanterweise Bogenschießen. Das glatte Holz lag mir gut im Arm, fast wie ein Kind. Es kostete erstaunlich viel Kraft, den Bogen zu spannen. Ich riss mir die Finger auf an der Sehne. Meine Schulter tat weh von der ungewohnten Kraftanstrengung, ich fühlte mich stark und geborgen, und als ich gar nichts dachte, traf ich ins Schwarze. Schießen und Denken geht anscheinend nicht zusammen.
Die Nachbarn über mir machen heute eine Ausnahme: Es ist Frauentag, und in Berlin ist arbeitsfrei. Feiertag. Nachmittags höre ich die Decke quietschen und denke an früher. Als Kind habe ich erlebt, wie ein unguter Mann meine Mutter schlug. Immer wieder. Das ging jahrelang so. Sex gab es auch. Und Blut. Das Blut, das sie jetzt im Fernsehen so gern zeigen, kann ich nicht sehen. Auch die zerbombten Häuser zappe ich weg und komme mir feige dabei vor. Ich frage mich, ob es einen Schützenverein in der Großstadt gibt - ich würde gern schießen können. Auch mit dem Gewehr. Mich verteidigen. Vielleicht werden sie morgen den dritten General töten, aber ich werde mich nicht darüber freuen. Hoffe ich.
Abends gehe ich wieder an die kleine Uferstelle am See. Das Licht ist jetzt anders. Die Spechte sind still. Insgeheim – mir selbst noch verborgen – erwarte ich, die Enten wieder zu sehen, mit genau derselben Bewegung im Wasser, als wären wir verabredet. Doch das leise Plätschern der Wellen bleibt einsam. Der Abend hält die Luft an.
Katharina Körting