Markus Fegers - Pumuckl
Pumuckl
Ich sitze im lichtdurchfluteten, aber gähnend leeren Gastraum einer großen Bäckereifiliale,
ein Buch in den Händen.
Zweimal habe ich bereits den Tisch gewechselt, um nicht unmittelbar der Klimaanlage ausgesetzt zu sein. Seewind – gerne und jederzeit, Zugluft aus großformatigen Düsen – nein, danke!
Mein neuer Platz liegt im Windschatten, mit Blick auf ein benachbartes Autohaus, aber nur zwei Schritte vom Verkaufstresen entfernt.
Gut gewählt, wenn man unterhalten werden möchte.
Weniger gut, will man sich auf das ebenso temporeiche wie blutige Finale eines skandinavischen Krimis konzentrieren – was ich gerade vorhabe, um mich im Anschluss wieder entspannt meiner Arbeit zuwenden zu können.
Die Bäckereifachverkäuferin, die mir eben im Tausch gegen einen Fünf-Euro-Schein das Tablett mit dem zweiten Frühstück (Café creme und Pain au Chocolat) überreicht hat, eine üppige Rothaarige Ende zwanzig, ist offensichtlich gut gelaunt und trällert laut und schräg vor sich hin: „Trari, trara, der Kasperle ist wieder da …“
Sie bricht ab. Zieht die Stirne kraus. Schaut ihre ältere Kollegin am Backautomaten, groß und hager, fragend an: „Oder heißt es ‚Trallali‘? ‚Trallali, der Kasperle ist wieder …‘, nein, das passt nicht. Vielleicht ‚hurra, hurra‘?“
Seufzend klappe ich meinen Roman zu. Multitasking ist so gar nicht meins.
„‘Hurra, hurra!‘ dürfte richtig sein“, brumme ich ungehalten und schiebe mir den Rest meines Schokobrötchens in den Mund.
Die Kollegin verdreht die Augen. „Mussten Sie ihr das unbedingt verraten?“, rügt sie. „Jetzt kriege ich dieses alberne Liedchen wieder den ganzen Tag zu hören!“
„Es ist nur, weil wir doch neulich Kasperle-Brötchen im Angebot hatten“, erklärt die Rote. „Statt Weckmännchen.“ Sie schaut mich an. „Wissen Sie, ich könnte Ihnen zu jedem Brötchen und jeder Brotsorte eine Geschichte erzählen oder etwas vorsingen!“
„Untersteh‘ dich!“ Die Hagere schiebt ein Blech mit frischen Teiglingen in den Ofen und schließt die Tür mit Nachdruck.
„Hurra, hurra, der Kasperle ist wieder da! Hurra, hurra, …“
Erneut seufze ich. Vielleicht wäre es besser gewesen, die fauchende Klimaanlage dem fidelen Gesangstalent vorzuziehen.
„Nein!“, ruft die Sängerin. „Ich hab’s! Das ‚Hurra!‘ gehört gar nicht zum Kasperl, das gehört zum Pumuckl! Kennen Sie den? Diesen kleinen roten Kobold? ‚Hurra, hurra, der Pumuckl ist da!‘, genau! Den habe ich früher immer so gerne geguckt im Fernsehen, weil …“ Sie fährt sich mit den Händen durchs Haar. „Verstehen Sie?“
„Sicher“, sage ich. „Gibt es auch dazu ein passendes Gebäck?“
„Sie werden lachen“, sagt die Rothaarige eifrig. „Das hatten wir schon. Ist erst ein paar Wochen her. Also keine Brötchen, aber Teilchen. Mini-Amerikaner mit spezieller Deko auf der Zuckerglasur. Danach könnte ich den Chef noch mal fragen, das war ein echter Renner! Vielleicht, dass wir bald wieder … “
„Nur zu“, sage ich und leere meine Tasse.
Mir scheint, mein düsterer dänischer Kriminalfall wird anderenorts gelöst werden müssen, nicht in Gegenwart dieses sonnigen Gemüts.
Ich schiebe mein Tablett in ein freies Fach des Abräumwagens, greife mein Buch, wünsche allerseits einen guten Tag und sehe zu, dass ich diese gastliche Stätte zügig verlasse.
Als ich draußen den Autoschlüssel aus meiner Jackentasche ziehe, höre ich mich zur eigenen Überraschung singen: „Hurra, hurra, der Kobold mit dem roten Haar, hurra, hurra …!“