Olaf Bröcker - Ist die Welt schon erstarrt - Rezension zu Sönke Zanders 'alles in vierzehn zeilen'
Ist die Welt schon erstarrt?
Sonette sind nichts für Alltagsliteratur. Ein Sonett verschwendet man nicht für eine banale oder profane Sache. Sonette sind etwas für die großen Themen. Für Dinge, die die ganze Welt bewegen, für Probleme, die wirklich fundamental sind, für Projekte, die die Welt retten können.
Sönke Zander macht Sonette über Mr. Spock, über Möbelstücke und Küchenfenster, über Luftballons und den HSV. Zumindest kommt all dies in seinem Band „alles in vierzehn zeilen“ vor.
Aber Sönke Zander verschwendet die Sonette nicht. Er schreibt, bei allem Sinn für Komik und Ironie, über die wirklich großen Themen. Über den Tod und die Einsamkeit. Den Krieg und Politik. Und immer wieder über die Zerstörung der Umwelt. Ist es sein Hauptthema, das Leitmotiv dieses bemerkenswerten Bandes? Zumindest überwiegt dieses Thema in dem Buch, egal, ob das Lyrische Ich über den Mond oder die Liebe spricht oder über Literatur. Auch das bereits erwähnte Küchenfenster steht sinnbildlich für die Blase, in der wir uns einschließen, für den absichtlich eingeengten Blick, der uns dann doch glauben lässt, alles wäre nicht so schlimm.
Dass es für ihn schlimm ist, zeigt das Sonett auf der Rückseite des Buches, das dem Menschen, der dem großen Liquidator gegenübersitzt und die Menschheit verteidigen soll, empfiehlt, unter allen Umständen zu lügen. Zeigen andere Sonette, die den wüsten Mond mit der Erde der Zukunft vergleichen. Durch vielfältige Blickwinkel und virtuos mit der Form spielend zeigt uns Sönke Zander, dass es schlimm ist, schlimm bleiben und immer schlimmer werden wird.
Wäre da nicht die (mitunter gar nicht so) leise Ironie, der feine Humor, der aus seinen Vierzehnzeilern anklingt. Wer Witze macht, wer Ironie verwendet, hat Hoffnung! Und so schallt ein Ruf der Hoffnung durch die Sonette, ein „Noch geht etwas!“, noch ist es eben nicht zu spät. Selbst wenn der Autor albern wird (der Rabe Wotans trägt einen „Götterblaster“), bleibt er anspruchsvoll, weist er auf mögliche Zerstörungen auch der Götterwelt hin – aber eben auf möglich! Der Philosoph, als der der Autor oft spricht, sucht nach Lösungen und weist dabei immer darauf hin, dass ein Verlust noch früher kommt, noch schwerer wiegt, alles andere verursacht: Der Verlust des Ich, der Identität, der uns ins Nichts stürzen lässt.
Die 17 Kapitel des Buches sind souverän aufgebaut, nicht selten kann man ein ganzes Kapitel (etwa „Die Dicke der Haut“, wo es im Kern um Liebe und Lust geht) hintereinander weg lesen und meint, ein Romankapitel vor sich zu haben. Jeder Abschnitt wird eingeleitet mit einer der perfekt zu den Sonetten passenden Illustrationen und mit einem Gedicht, das das Thema umreißt, aber nicht in Sonettform verfasst wurde. Und so muss, ja sollte man die Gedichte dieses Bandes nicht in einem Zug konsumieren, man kann sie langsam verkosten, Kapitel für Kapitel, die Souveränität bewundern, mit der Sönke Zander laute und ganz leise Worte findet, nach innen und nach außen blickt, über Sprache und Kunst meditiert und immer wieder warnt.
Sönke Zander hat ein Lebenswerk veröffentlicht, das gleichzeitig zeitgebunden ist, wenn er uns vor dem Abgrund dem Nichts zurückreißen möchte, und zeitlos, denn wir alle gehen letztlich, wie es der Autor in meinem Lieblingsgedicht aus diesem Band formuliert, „im Wintermondlicht“ hinaus in eine erstarrte Welt. Oder kann sie wiederbelebt werden?
Olaf Bröker