Presseinfo: Buchpremiere 'So bleibt mir nur die Hoffnung'
SchülerInnen arbeiten zwei Jahre über das Leben von Jugendlichen im Nationalsozialismus
Einladung zu einer ganz besonderen Buchpremiere am 9. Februar um 18.00 Uhr im Museum im Zeughaus in Vechta
Schüler und Schülerinnen des Seminarfachs 'Brückenprojekt Das Leben von Jugendlichen im Nationalsozialismus in Vechta' des Gymnasiums Antonianum in Vechta stellen in Zusammenarbeit mit dem Geest-Verlag ihr Buch 'So bleibt mir nur die Hoffnung' vor
Zwei Jahre lang forschten, überlegten, schrieben, erlebten 20 Schüler und Schülerinnen unter Anleitung von Olaf Bröcker in diesem Projekt. Jede Schülerin und jeder Schüler übernahm dabei die Rolle einer oder eines Jugendlichen zur Zeit des Nationalsozialismus, im Rahmen einer fiktiven Gymnasialklasse. Die Rollen waren angelegt auf mögliche Jugendliche der damaligen Zeit am Schulort; für Vechta hieß das: Betonung der Religion, kaum sozialdemokratische, dafür aber viele Bauernfamilien. In allen Rollenbeschreibungen lag Konfliktpotenzial, politisch, familiär, im Rahmen der Klassengemeinschaft, wie in jedem Leben halt, aber an keiner Stelle war ein bestimmter Lebensweg angelegt. „Nicht alle werden überleben, aber wer sterben wird, wissen wir noch nicht!“ Dieser Satz wurde der Gruppe zu Beginn des Projekts mitgegeben und der Tod erfüllte sich als Prognose bei einigen der Figuren.
Die Notwendigkeit, eine solche Rolle auszugestalten, mit den damaligen Gegebenheiten und Ereignissen umzugehen, schneidet quer durch die Täter-Opfer-Schematik, die uns Politik und Medien so gerne vorgeben, die so bequem ist, die ein eigenes gedankliches Verorten in eine Gesellschaft, in der die Entscheidungen eben nicht frei sind, nicht erfordert. Die nahezu zwangsläufig erfolgende Identifikation mit der Rolle macht jedoch ein Denken in oberflächlichen Strukturen unmöglich. In Zeiten, in denen der Geschichtsunterricht teilweise radikal gekürzt wird, das Fach sogar in einem Sumpf namens „Gemeinschaftskunde“ unterzugehen droht, ist das umso wertvoller. Dass das Projekt parallel zum Erstarken rechter Kräfte, ja der erneuten Hoffähigkeit rechter Parolen in unserer Gesellschaft lief, war Zufall; es macht das Gehen auf den Spuren der Menschen, die das schon einmal erlebt haben, nur wichtiger. „Ihr habt die Wahl – macht was draus!“, mahnte die Zeitzeugin Anita Krüger die Jugendlichen, ihre Freiheiten aktiv zu nutzen.
Besonders gut zu erkennen war dies in der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück. Vorher war kaum abzuschätzen, wie entscheidend der mehrtägige Aufenthalt dort für den Erfolg des Projekts war. Die Jugendlichen haben die in der Ausstellung vorgefundenen Fakten selbstständig in ihre Rolle integriert, haben dabei selbst festgelegt, wer aus der fiktiven Schulklasse wohl in Ravensbrück bzw. im angrenzenden Jugendlager Uckermark landen würde und wie es ihnen dort ergangen wäre. Die von ihnen erdachten Vorträge und Rollenspiele bildeten eine Sternstunde der Projektarbeit.
Aus den Texten der Gruppe wurde ein Buch. Es ist das inzwischen siebte Buch, das der Geest-Verlag unter Leitung von Alfred Büngen und Schülerinnen und Schüler des Gymnasium Antonianum Vechta gemeinsam herausgeben. Das Ernstnehmen der Jugendlichen und ihrer Texte ist die Basis der Arbeit mit ihnen. Und dann lernen nicht nur die Jugendlichen, Brücken zu bauen, dann können wir alle über diese Brücken zu den Jugendlichen gehen und von ihnen lernen.
Man darf nicht zu viel erwarten. Doch für einige der Schüler hat sich in diesem Projekt sicherlich etwas verändert. „Als wir Ravensbrück wieder verließen, war ich ein anderer Mensch als zum Zeitpunkt der Ankunft. Man hatte mir die Augen geöffnet. Der theoretische, langweilige Schleier der Schulbank war verflogen. (…) Von da an wollte ich zeigen, dass diese reale Geschichte nicht wiederholt werden darf, dass jegliches rechtsradikales Gedankengut sich für diese reale Geschichte ausspricht. Dass Menschen sich informieren müssen, um zu verstehen, warum es nicht wieder passieren darf, und um zu lernen, wie man schon kleine Anzeichen erkennt und unterbindet.“
Auszüge aus ihrem über 500seitigen Buch werden die mitwirkenden Jugendlichen am Dienstag, den 9. Februar um 18.00 Uhr im Museum im Zeughaus in einer szenischen Lesung vorstellen.
Schülerinnen und Schüler und die Verantwortlichen in Schule und Verlag, Olaf Bröcker und Alfred Büngen, und auch das Museum im Zeughaus hoffen auf eine rege Beteiligung der Öffentlichkeit. Schulklassen und Kurse, die das Thema auch unterrichtlich behandeln, sollten sich am besten telefonisch unter 04447/856580 im Geest-Verlag anmelden, da die Anzahl der Plätze begrenzt ist.
So bleibt mir nur die Hoffnung
Roman über das Leben
von Jugendlichen im Nationalsozialismus
Herausgegeben von Olaf Bröcker.
Die Autoren:
Lukas Bert, Philipp Bert,
Frederik Bösing, Lea Bramlage,
Louisa Fortmann, Tanjila Hossain,
Jamie Jankowsky, Pia Kosinski,
Dominika Maszkowska, Eva Meyer,
Ngoc Nguyen,Mikail Özcan,
Lea Pranger, Anna-Maria Rolfes,
Paula Schulz, Nico Splittgerber,
Sanna Urban,Heinrich Wilkens,
Lisa Witte, Cihan Yokus.
Geest-Verlag 2016
ISBN 978-3-86685-550-2
ca. 520 S., 14.80 Euro
„Ihr habt die Wahl – macht was draus!“
Ein Vorwort von Anita Krüger zum Buch
Vor wenigen Wochen sprachen mich Jugendliche, die ich in einem anderen Buchprojekt des Geest-Verlags, dem von Pestalozzischule und Gymnasium Brake, kennengelernt hatte, in meiner Heimatstadt Brake mitten auf der Einkaufsstraße an. Sie gratulierten mir zu meinem Mut. Ich war verwundert: Welchen Mut meinten sie? Dass ich ihnen von früher erzählt hatte? Dass ich mich mit meinen 89 Jahren in ihrer Premiere auf die Bühne gestellt und einige Sätze gesagt hatte?
Nein, sie meinten etwas anderes. Ich hatte ihnen im Rahmen des Projekts erzählt, dass ich in diesen Jahren des Nationalsozialismus überzeugtes BDM-Mädchen und spätere Nazifrau war. Ich habe ihnen gegenüber eingestanden, wie ich das im Übrigen auch allen anderen Menschen gegenüber eingestanden habe, dass ich mich damals habe verführen lassen, den Parolen und verführerischen Karrierechancen, die man mir bot, geglaubt habe. Und zu dem Mut dieses Eingeständnisses gratulierten sie mir.
Es ist nach wie vor ein seltsamer Umgang, den wir in der Bundesrepublik mit den Jahren des Nationalsozialismus haben. Offensichtlich müssen die NSDAP, die HJ, der BDM und alle Massenorganisationen der Nazis einfach vom Himmel gefallen sein. Niemand hat sie gewählt, niemand war Mitglied, niemand war von ihnen fasziniert. Wir müssen ein Volk von aktiven Widerständlern gewesen sein, wobei es rätselhaft bleibt, wieso die Nazis so lange an der Macht blieben und im Namen Deutschlands die furchtbaren Verbrechen begehen konnten.
Vielleicht war es der Fehler unserer Generation, nicht einzugestehen, dass wir den Versprechen und Lügen der NSDAP geglaubt haben, dass wir alle in diesen Unrechtsstaat verstrickt waren. Dass wir alle unseren Fehler erst sehr viel zu spät erkannt und aus Angst oder Scham diese Verstrickung im Nachhinein nicht zugegeben haben. Die meisten haben selbst vor ihren eigenen Kindern und Enkelkindern geschwiegen.
Somit haben wir es den nachfolgenden Generationen beinahe unmöglich gemacht, zu verstehen, wie all das passieren konnte. Wir haben ihnen damit die Möglichkeit genommen, neuen braunen Versprechungen, wie wir sie heute verstärkt wieder erleben, mit dem Wissen um den historischen Irrtum entgegenzutreten.
Ich will jungen Menschen mit dem Erzählen über meinen Weg, meine Irrtümer verdeutlichen, dass sie heute bessere Möglichkeiten des Widerspruchs gegen rechte Gedanken und Bewegungen haben, als wir sie damals gehabt haben.
Doch wie uns damals keiner die Entscheidung abnehmen konnte, so wird auch heutigen Jugendlichen keiner die Verantwortung abnehmen. Ich bin mir aber sicher, dass diese Jugendlichen, die an diesem Projekt des Gymnasiums Antonianum mitgewirkt haben, aus dem erlebten und erworbenen Wissen etwas machen werden.