Reinhard Rakow - Aschermittwoch
aschermittwoch
1.
wir haben uns einige winter ertragen
wir haben uns in den sommern den ventilator
geteilt und das fenster geöffnet
füreinander
wenn der frühling kam
hattest du entzündete mandeln
und ich haarausfall. im herbst
liebten wir das arbeiten bei kleinem licht
und die geräusche
aus dem zimmer des anderen
zu deinem geburtstag
schenkte ich dir bunte steine
einen für jedes lebensjahr
als ich geburtstag hatte
war deine rechte eingegipst und du
reichtest mir ihre farbspuren
auf blauem tonpapier
wodurch mir ein druck deiner hand
versagt blieb
2.
dein pech war daß ich
dich brauchte. mein pech
daß du nicht mich
suchtest
unsere träume liefen selten
sich über den weg und wenn
nur um scheu
guten tag sich zu sagen und bisweilen
schafften sie nicht einmal das
3.
du hast meine sentimentalitäten erweckt
du hast meine sätze ergraben
du sahst blind was ich wollte und wie
du hast einsatz und ergebnis eingeschätzt
wie ich es nicht besser vermochte
du hast mich ertappt
du hast mich durchschaut
du wußtest
dass ich wußte
ohne ein wort
ich habe deine träume sehen
deine sprüche voraussagen
deine ziele vorwegnehmen
deine kalkulation nachvollziehen
können. ich verstand dich
ohne ein wort
wir haben gearbeitet für drei
wir haben alle platt gemacht
ich war stolz auf dich und
war ich außer haus
konnte ich mich auf dich verlassen
mich freuen darauf
zurück zu sein
denn da warst ja du
wir waren ein gutes team
wir waren ein tolles gespann
wir konnten pferde stehlen miteinander
nur ein liebespaar waren wir nicht
3.
schon bevor ich dich sah
mein ganzes leben
habe ich auf dich gewartet
seit wir uns kennen lernten habe ich
gewartet darauf
daß das telefon klingelt
daß die tür geht
daß du dich meldest
in der nächsten stunde
oder der übernächsten
oder in der danach
oder vielleicht später
seit wir uns kennen lernten habe ich
an dich gedacht
morgens mittags abends jede
freie sekunde und meist nicht nur die
du warst mein ziel
du warst mein leben. es wird
mir fehlen
4.
ab heute bin ich alt. wenn du
dereinst mit breitem becken
auf dem spitzboden eures einfamilienhauses
alte kartons aufräumst
um platz für abgelegte spielsachen
eurer kinder zu schaffen stößt du vielleicht
auf dieses blatt oder einen brief
und dich überfällt vielleicht
für einen herzschlag oder zwei
wovon ich träumte
als noch mein herz schlug
der rauch der letzten zigarette wird sich lang schon verzogen haben
die farben werden sich vom tonpapier gelöst haben
das gipshuhn wird noch immer kein ei gelegt haben
kein pferd wird noch wiehern
kein pickel wird mehr sprießen
kein haar wird mehr ausfallen
die eiterherde werden entfernt sein
die brandlöcher im stoff werden nicht mehr auf den ersten blick
zu sehen sein
die luftschlangen werden entsorgt sein
5.
liebe
läßt sich nicht erträumen
nicht herbeisehnen
nicht herglauben
sie ist nicht zu erarbeiten
nicht zu erzwingen
nicht zu erpressen
noch zu kaufen
sie ist.
oder nicht.
Reinhard Rakow
geb. 1952 in Gelnhausen, lebt und arbeitet in Berne/ Wesermarsch als Maler und Autor.
Autor (Romane, Novelle, Gedichte), Herausgeber (Anthologien der Berner Bücherwochen u.a.), Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien, Feuilletonbeiträge zu Musik, Kunst, Literatur und Theater.
Besuchen Sie unbedingt seine täglich aktualisierte Webseite http://www.reinhardrakow.de