Reinhard Rakow - silben, äste, silben
nahm die säge zur hand mit dem blauen
griff der lange hebel würde mir hilfreich
sein beim beschneiden der aufgeschossenen
äste beim kappen der nothohen triebe
und die astschere ohne getriebe bis vierzig
millimeter durchtrennt sie so hieß es
in einem zug unterm druck zweier
fäuste; blaustahl durchbeißt die haut hinter
lässt schwarz sein kainsmal dringt endlich
ein blut weißes blut riesel vom winde
verweht weich viel zu weich richtet es nichts
fleisch viel zu fleisch
aus gegen eis
gehärtete zähne mein nachbar
lugt durchs astgitter zu früh meint er der
frühling kommt viel zu früh
und las baudelaire in gedanken einen kultur
sender im net bei rasch offenem stream
dank hoher bitrate und hölder die späten
gedichte jetzt wo es heller wird draußen
jetzt
sollte man auf dem turm sein
sich einkrallen ins gemäuer wie efeugewurz
in einen riss wachsen anschwellen haar
tatzen ausbilden rings um sich selbst auf
voller länge die steine aussaugen ihr mark
auslutschen letter für letter silbentrank
saufen stark werden sich nicht vertreiben
lassen ein halm sein im sturm der sich beugt
zu überleben ein keuner von brecht und
beharrlich
wie heckengeflecht aus korkzieherweide
wie laokoongestrüpp voll von gichtknoten sich
selbst nicht genug noch jede wendung des
windes antizipierend im dreh um die eigene
achse nicht zu entwirren nicht auszurechnen
schwer zu berechnen
schwer nur zu brechen
der widerstand der haken schlägt
früh viel zu früh nicht
zu fassen
und las neruda nietzsche novalis
in musik von schubert schnittke und bach
vor bildern von querner und dänen
die im dämmer versanken
der sich neigenden woche
nahm die säge zur hand mit dem blauen
griff der lange hebel würde mir hilfreich
sein beim wiederfinden in
mitten aufgeschossener äste
umgeben von nothohen trieben
und die astschere mit den roten spann
schrauben leuchtet so hieß es
signalgleich unter dem schatten zweier
nächtiger stämme; blaustahl frisst meine haut hinter
lässt breit sein kainsmal dringt jäh
ein blut weißes blut klirrt es im winde
verweht wie die fahnen zu schlaff richtet es nichts
fleisch viel zu fleisch
aus gegen feuer
gehärtete zähne mein nachbar
lugt aus dem fenster zu früh meint er hämisch der
abend fällt viel zu früh —
und las baudelaire in gedanken hörte ich
einen sender im net bei rasch offenem stream
dank hoher bitrate und hölder die späten
gedichte die retter jetzt wo es dunkler wird draußen
jetzt
sollte man auf der hut sein.
Reinhard Rakow
geb. 1952 in Gelnhausen, lebt und arbeitet in Berne/ Wesermarsch als Maler und Autor.
Autor (Romane, Novelle, Gedichte), Herausgeber (Anthologien der Berner Bücherwochen u.a.), Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien, Feuilletonbeiträge zu Musik, Kunst, Literatur und Theater.
Besuchen Sie unbedingt seine täglich aktualisierte Webseite http://www.reinhardrakow.de
Im Geest-Verlag erschienen:
Trotz alledem - Anthologie zu den Vierten Berner Bücherwochen
Manche schlafen ein mit der Katze - Ein Lesbuch für die Wesermarsch
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