Rezension von Norbert Sternmut -zu 'Glas und andere Irrtümer'- Kurze Prosa von Sigune Schnabel
Rezension Norbert Sternmut
-Glas und andere Irrtümer- Kurze Prosa von Sigune Schnabel
Geest Verlag, ISBN 978-3-69064-523-2
In ihrem ersten Prosabuch „Glas und andere Irrtümer“ liefert uns Sigune Schnabel
sowohl sprachlich als auch inhaltlich außergewöhnliche Kurzgeschichten.
Die Sprache erinnert durchweg an ihre metaphorische, phantastische Lyrik
und auch der Inhalt knüpft weitgehend an die Themen der Gedichte an. Es geht in den Geschichten
um Verlust und Gewinn, Hoffnungen und Illusionen, um Erinnerungen
die nicht selten in die Kindheit zurückführen. Es geht um Schuld und Lügen,
Schüchternheit und Verschüchterung und das „innere Kind“ im Umgang
mit äußeren Einschränkungen, geht um stille Fluchten in Worten und Phantasien.
Es geht also um „das Glück, das unter der Haut wohnt“, aber auch um
feinfühlige Annäherungsversuche an das, was Wirklichkeit oder Wahrheit genannt wird,
im Wissen, dass es doch kein Andocken daran geben kann, keine Übereinkunft
mit dem, was uns das Spiegelglas vorwirft. Es zeigt sich, wie sehr doch jeder
einzelne in seinem Glashaus gefangen ist und Nähe und Verständnis
eher eine Illusion bleibt. Es zeigt sich, wie sich jeder einzelne erst einmal
selbst in seiner Wirklichkeit und Wahrheit finden muss, bevor er sich seinem
Gegenüber zumindest annähern kann. Also geht es um das Gefühl
von Einsamkeit innerhalb von Beziehungen aber auch alleine mit sich selbst.
Die Umwelt wird besonders gefühlsstark und intensiv erlebt,
was eine große Anstrengung im Umgang mit ihr erfordert.
Also geht es um die Beschreibung einer sensiblen Seele außerhalb
eines Großen, Ganzen, das durch seine unverständliche Existenz
fragwürdig und zumeist bedrohlich wirkt. Und innerhalb dieser Existenz
ist diese sensible Seele eben auch Teil dieses Großen, Ganzen,
und damit auch für sich selbst fragwürdig und unverständlich
und sucht nach Mitteln und Wegen mit dieser Situation gleichsam
„sinnvoll“ umzugehen, was letztendlich ebenso eine Illusion bleibt.
Auch „Zeit ist ohnehin nur eine Illusion“. Und: „Der liebe Gott ist gestorben,
ich aber bin noch hier, ich bin du bist ich, wir sind verwurzelt
in diesem Boden, im Garten.“
So haben die Texte sowohl philosophisch wie psychologisch zu deutende Inhalte, wobei die stets
im Hintergrund lauernde Mutterfigur der Protagonisten nicht selten
eine große Rolle spielt. Und bei all den wechselnden Namen in den Geschichten
bleibt diese poetisch höchst feinfühlige, phantastische Sprache, oft in Metaphern verdichtet,
bleibt diese hochsensible Sprachkunst, die mit Worten von
„Sprachschatten“ spricht, die im Grunde kein Wort ausleuchten kann.
Es wird spannend sein, wie sich die Autorin in ihren nächsten Werken zeigen wird,
welche Antwort sie auf die leere Sprachlosigkeit des Raums und der Zeit
und den irrsinnigen, absurden Umgang des Menschen damit finden wird.