Richard Pfund - Alltagsassistenten

Alltagsassistenten

Ohne die Hilfe von Alltags- und Arbeitsassistenten könn-te ich mein Leben gar nicht selbstständig bewältigen, deshalb an dieser Stelle ein Dank an alle, die mir bis heute zur Seite standen. Generell ist das Leben als Körperbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 % ein ständiger Kampf mit sich selbst. Man stelle sich als körperlich intakter Mensch einfach einmal vor, man säße in einem bequemen Sessel, an Händen und Füßen gefesselt und mit Gewichten beschwert, nicht um irgendeinen Fetisch auszuleben, sondern unter diesen Umständen Dinge zu tun, die man eben unbewusst ein-fach macht, sich mit den Fingern durchs Haar streichen, den Bart kraulen, hingebungsvoll zu popeln oder sich irgendwo zu kratzen. Schnell wird man feststellen, dass das nicht funktioniert. Ein auf die Zunge gelegter Golfball könnte die Schwierigkeit beim Artikulieren aufzeigen, die aufgrund spastischer Lähmungen auftreten. Noch schwieriger wird es bei lebenserhaltenden Verrichtungen wie dem Essen, Trinken, Anziehen, Ausziehen, Waschen oder Toilettengang.
Bei professionell angelegten Fesseln wird man dem Sessel und sich selbst hilflos ausgeliefert sein. Die Dauer des Aufenthalts in dieser Situation wird mit der Zeit mehr und mehr zeigen, wie aussichtslos die Lage ist, in der man sich befindet. Wenn der Fesselkünstler den Raum verlassen würde, wären Panikattacken und vielleicht noch Schlimmeres vorprogrammiert, aber es ist ja nur ein Spiel. Sie werden von der Bandage befreit und sind glücklich, dass ihr Leben in den alten Bahnen weiterläuft wie bisher, unter Umständen aber um eine kleine Erfahrung reicher.
Versetzen sie sich einmal in die eben beschriebene Situation und stellen sie sich vor, sie müssten so ihren Alltag bewältigen in Schule, Ausbildung und Beruf, in der Freizeit und auf Reisen. Sie müssten sich entscheiden, ob sie es vorziehen, in Selbstmitleid zu zerfließen oder ihr Leben zu reflektieren wie Loriot.
Versuchen Sie mal einer fremden Person zu erklären, wie man ein Koordinatensystem zeichnet, wenn Ihr Gegenüber nicht einmal weiß, was das ist.
Die Kunst, fremde Hände zu lenken, wenn diese etwas anderes tun, ist nicht leicht, fällt mir dazu ein. Die Gefahr ist aber groß, dabei verrückt zu werden. Menschen in meiner Situation haben diesbezüglich einen gewaltigen Erfahrungsschatz und könnten Fortsetzungsromane verfassen, Geschichten, die ihr Leben schreibt.