Rieke Freese - Leichtsinnige Tänzerin
In dem Moment, in dem ich zu mir komme, erwacht ein Sinnesverstand nach dem anderen, doch erst als die Mor-gensonne nach meinen Augen greift und mich nach draußen zieht, beginnt die Show. Einer Ballerina gleich vollführe ich einen Balanceakt auf zerbrochenen Ziegelsteinen. Applaus ummantelt mich, treibt mich weiter nach Osten, dorthin, wo die Sonne geduldig auf meine Ankunft wartet. Das Bal-lettprogramm nennt sich „Pilgerfahrt“ und lockt so viele Zuschauer, dass ich vor Lampenfieber kurz zittrige Beine bekomme und drohe, ins Jenseits zu rutschen. Doch der Song in meinem Kopf baut eine standhafte Mauer um mich, die es mir nicht erlaubt, auch nur eine Sekunde zu stoppen. Tausende von Seemeilen überquere ich so, aber von Tag zu Tag bohren sich die scharfen Kanten der Ziegelsteine tiefer in meine nackten Füße, und die Sonne schafft es nicht mehr, mich mit ausreichend Wärme zu versorgen. Völlig erschöpft falle ich deshalb am siebten Tag auf die Tanzfläche, dieses Mal schafft der Song in meinem Kopf es nicht, das schmerzhaft laute Entsetzen der Zuschauer zu übertönen. Und obwohl alles in meinem Körper danach strebt weiterzu-tanzen, bleibe ich liegen, festgenagelt von der Dunkelheit.