Sabine Brandl - Was tun? (Antirassismusaktion - Vor allem anderen bin ich Mensch')

Was tun?

»Bist du ein Mann oder eine Frau?«
»Ach, die ist doch bestimmt eine Lesbe!«
Es folgen albernes Japsen, Keckern und Lachen.

Die Wörter hallen laut durch sie hindurch. Früher, da hätte sie einen scharfen Pfeil gespürt, der sich tief und feurig durch ihre Brust bohrt. Heute ist es eher ein dumpfes Brummen in ihrem Schädel, ein leichtes Zusammenziehen ihres Herzens.

Andrea hat die drei Jungs vor dem U-Bahn-Eingang schon aus einiger Entfernung wahrgenommen: planlos herumlungernd, mit Energy-Drinks in der Hand, grölend, Sprüche klopfend. Eigentlich hat sie gar nicht mit einer Anmache dieser Art gerechnet, schließlich ist es Jahre her, seit sie das letzte Mal aufgrund ihrer angeblich nicht ausreichend femininen Ausstrahlung angegangen wurde.

Andreas erster Impuls ist, einfach weiterzugehen. Doch noch ehe sie sich versieht, schießt ihr das Bild in den Kopf, wie sie lässig auf einen der Sprücheklopfer zugeht, ihm drohend in die Augen schaut, ihm seine Getränke-Dose aus der Hand reißt, ihm deren Inhalt über den Kopf gießt und mit rauchiger Stimme sagt: »Wären alle Jungs so wie du, gäbe es auf dieser Welt nur Lesben.« Ihn dann verdattert stehen lässt, auf dem Absatz kehrt macht und John-Wayne-mäßig davonschlendert.

Doch nein. Für den Moment ist das zwar eine schöne Fantasie, aber sie hat doch andere Ansprüche an sich … Also was tun? Ihr fällt die Szene ein, als sie das letzte Mal auf diese Art und Weise belästigt und diffamiert wurde …

Ein Mann mit südländischem Aussehen sprach sie in der Fußgängerzone an: »Hey, bist du eine Lesbe, oder was?«
Sie schnappte zurück: »Ja, bin ich, aber was geht Sie das an?«
Da lachte der Typ und sagte: »Weil du nicht normal bist, ey! Eine Frau muss sich wie eine Frau kleiden und benehmen, nicht wie ein Mann!«
Andrea bläffte: »Deine absurden Theorien will hier in Deutschland keiner hören! Wir leben in einem modernen Land! Pass dich gefälligst an unsere Werte an oder halt die Klappe, du unerträglicher Macho!«
Ein älterer Mann neben ihr hatte ihre kleine Wutrede mitbekommen und mischte sich nun ein. »Genau, lass die junge Frau hier in Ruhe und benimm dich. Oder geh dahin zurück, wo du hergekommen bist! Respektloses Türken-Pack!«
Da brüllte der Südländer zurück: »He, Alter! Dir ist schon klar, dass die hier eine Lesbe ist!«
Bei dem Wort ›Lesbe‹ zogen sich die Mundwinkel des Alten sofort nach unten. Er sah sie verdutzt an, dann blickte er wieder auf den Fremden, schüttelte energisch den Kopf. »Und wenn schon. Mir ist eine deutsche Lesbe lieber als ein türkisches Arschloch.«
Andrea murmelte daraufhin nur: »Geht´s noch?« und entfernte sich mit schnellen Schritten.

Das war richtig schiefgelaufen und ihrerseits überhaupt keine gelungene Aktion gewesen. Aber wie soll sie nun reagieren – heute – jetzt – in dieser Situation?

Reden! Sie wird reden. Vielleicht wird sie die Jungs überfordern oder langweilen, womöglich erntet sie auch neuen Spott – aber es ist der beste Weg. Sie wird es für sich tun, für andere in ähnlichen Situationen, für die Pöbler selbst. Aber dieses Mal wird sie von sich und ihren wahren Überzeugungen sprechen, ohne verbale Angriffe. Und damit mehr Mut und Stärke zeigen als jeder Film-Cowboy.

 

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