Sammy meint: "Triff eine Unterscheidung" Aus: Anne Rakel: Sammy und die Sache oder SOWAS KÖNNEN WORTE

Oft, wenn ich über etwas nachdenken muss, hau ich mich aufs Bett und lieg so da. Bis ein Gedanke auftaucht, der mich dahin führt, wo ich noch nicht war. Da geh ich dann hin und guck mich um. Und meistens fällt mir etwas ein, was ich irgendwo gelesen oder gehört habe. Das ist super. Weil Bewegung in die Sache kommt und meine Gedanken eine Richtung kriegen.
Heute versuche ich, aus der Sache mit Paula schlau zu werden. München. Berlin. München. Was will sie denn da? Wa-rum auf einmal nicht mehr Berlin? Ich weiß ja, dass wir uns nie lange streiten oder so. Meistens kommen wir nach ein paar Tagen wieder in Ordnung. Und ich weiß, dass dieser Typ aus der Antike dazu was erzählt hat. Der hat viel nachgedacht über Entscheidungen und Unterschiede. Ich habe mir das so gemerkt: „Triff eine Unterscheidung“.  Das ist die Botschaft von dem antiken Herrn, dem Philosophen Epiktet. Er war Sklave und hat trotzdem Philosophie studiert. Sagenhaft. Bei uns haben so einige null Bock auf Schule. Dabei ist das ein Privileg, für das viele junge Leute in ande-ren Ländern viel geben würden. Und da lebte einer als Sklave und hat trotzdem so viel nachgedacht und gelernt. Oder gerade deshalb. Er hat zum Beispiel herausgefunden, dass nicht die Dinge selbst uns beunruhigen, sondern unsere Vorstellung von den Dingen.
Hmmm. Das muss ich mir gleich noch genauer angucken. Heißt ja wohl, dass ich jede Menge Platz für meine Interpretationen habe, schätze ich. Und das ist cool, weil Auslegungen von ein und derselben Sache komplett verschieden ausfallen können. In der Klinik war das wichtig. Die Kids mussten begreifen, dass sie ihre eigenen Deutungen von Menschen und Situationen verändern können. Für sie ist diese Unterscheidung zwischen einem Sachverhalt und ihrer Interpretation von dem Sachverhalt von großer Bedeutung. Auch manche Lyrikerinnen und Denkerinnen kommen am Ende ihrer Ausführungen zu einem ähnlichen Ergebnis, selbst, wenn dazwischen ganz schön viel Zeit liegt.
Das überrascht mich immer wieder. Ich glaube, deshalb lese ich so gerne. Paula, Oma Marie und Tante Valeria, als sie noch gelebt hat, einige aus dem Jahrgang, einige Lehrerinnen lesen genauso gern und erleben das ähnlich, wenn auch wiederum anders. Matz versteht es nicht immer, aber er mag es. Meine Family könnte auch ohne Bücher auskommen, aber immerhin haben Mom und Dad mir Bücher geschenkt, seit ich klein war und mir die Bücherei gezeigt. Sie hören ab und zu auch hin, wenn ich von meinen Projekten berichte. Aber ihr Herz schlägt woanders. Ihnen reichen die Zeitung und das Internet.

 

aus:

Anne Rakel

Sammy und die Sache

oder

SOWAS KÖNNEN WORTE

Geest-Verlag 2020

2. Auflage Januar 2021

ISBN 978-3-86685-822-0

Klappbroschur, Munken-Papier

ca. 168 Seiten,

11 Euro

 

"Hoi. Ich bin Sammy.“ So beginnt die Geschichte dieser besonderen jungen Frau, die uns teilnehmen lässt an ihrem Leben zwischen Schule, Freizeit, FSJ und Universität. Sie ist immer auf der Suche nach dem perfekten Satz, sucht in Literatur, Philosophie, Kunst, Naturwissenschaft und in sich selbst. Sie will sich mit Menschen umgeben, die ebenso wie sie und ihre Freundin Paula viele Fragen an das Leben haben und der Sache auf den Grund gehen wollen: Was geschieht? Und was bedeutet das, was geschieht?

Ein auch sprachlich faszinierendes Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen mag. Oldenburgs Bürgermeisterin Germaid Eilers-Dörfler schreibt nach der Lektüre begeistert in ihrem Begleitwort: „Sammy macht uns klar, ... es geht nicht darum, Theorien, Geschriebenes und Gedachtes als Moment für benotetes Wissen zu erlernen, sondern es in seiner Bedeutung für eigenes Leben und Gesellschaftlichkeit zu hinterfragen und durch eigenes Denken und Fühlen zu erweitern."

„Ich mag Denken. Denken verändert die Welt. Gedanken, die Arbeit machen. Die den Kopf was kosten. Ich guck gerade übrigens in die Sterne und könnte schon wieder ausflippen. Zu schön das alles. Zu groß. Ein Leben reicht nicht aus, das alles zu begreifen. Wir sind auch so ein kleiner Stern wie die da oben. Über und unter uns nur Universum. Oder? Vielleicht sollte ich Astronautin werden. Wie Juni. In Space-Girls. Ist die Suche nach dem perfekten Satz bescheuert oder einfach mein Ding? Fragen über Fragen. Herrje. Gute Nacht. Morgen wieder geöffnet ab 9:30 Uhr.“

Anne Rakel lebt und arbeitet seit 2011 in Oldenburg, ist seit 25 Jah­ren verheiratet, mag alles Mensch­liche und spielt gern mit den viel­fältigen Möglichkeiten von Wort und Humor. Als Geisteswissen­schaftlerin und Pädagogin weiß sie um die Bedeutung von Sprache für soziale Interaktion und die Her­stellung von Wirk­lichkeit.  
Veröffentlichungen: Valeria und Marie (2018); Mehr von Valeria und Marie (2019); Valeria und Marie gehen ihren Weg (2020); Das Märchen vom kaltherzigen König (2020).

 

und hier geht es zu einigen Hörausschnitten

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