Sigune Schnabel rezensiert Holger Küls Band 'Kumulus aus Nordwest'
Sigune Schnabel rezensiert
Holger Küls
Kumulus aus Nordwest
Gedichte
mit einem Nachwort
von Hans Georg Bulla
Geest-Verlag, Vechta 2021
ISBN 978-3-86685-858-9
96 S., 11 Euro
Vielleicht sind Gedichte in erster Linie für Deutschlehrer und Professoren, die aus den Tiefen der Worte etwas hervorgraben, so eine weit verbreitete Meinung: einen Sinn, an dessen Existenz der Schüler, Bleistift im Mund und Kopf auf den Händen, kaum noch zu glauben wagt. Holger Küls beweist in seinem Band „Kumulus aus Nordwest“ das Gegenteil. Es ist eine Lyrik, die sich nah am Alltag bewegt. Im Mittelpunkt steht die Beschreibung der Welt, ein kurzes Festhalten von Beobachtungen, ein Zusammenspiel aus Erinnerung und gegenwärtiger Wahrnehmung. Holger Küls zeigt uns in schlichten Worten Ausschnitte wie mit einer Kamera: eine Nordseeinsel, eine Schafherde oder einen Sperling, der durchs Zimmer fliegt. Dabei ist seine Sprache nicht hochtrabend, sondern auf das Wesentliche reduziert. Es sind Gedichte, für die wir keine wissenschaftliche Ausbildung brauchen – der Zugang ergibt sich, indem wir innehalten und uns auf das Dasein an sich besinnen.
Meist hält Holger Küls lediglich fest, was er sieht. Und darin sehe ich die Stärke der Gedichte: dass sie nicht dem Leser das Denken abnehmen, keine Meinungen aufzwingen, keine Wertung vorgeben. Wie dahingetupfte Bilder halten die kurzen Texte den Augenblick fest, ohne darüber zu richten. Besonders hervorzuheben ist das Gedicht „Regionalexpress“: Es klingt zwar das aktuelle Thema „Corona“ an, jedoch ohne Gefahr zu laufen, in die aktuelle Diskussion mit einzustimmen und in der Auseinandersetzung zwischen den gegensätzlichen Polen Position zu beziehen: „hinter mir ein Husten / vor mir drei ältere Damen / Handtaschen auf dem Schoß / die Else ist tot / eine hat sie aber gesehen / gestern im Kaufland / dann geht es um Hack mit Zwiebeln“.
Für mich sind die Gedichte dann besonders gelungen, wenn sie eine unerwartete Wendung aufweisen wie auf S. 12: Das Kind erfährt die nächtliche Einsamkeit – die aber nicht am nächsten Morgen mit dem Tageslicht endet: „Ich blieb allein / mit dem Monster / unterm Bett – // bis heute“. Auf S. 23 wird das Thema wieder aufgegriffen: „Ich bin / ein schlafloses Tier / ohne Haut und Augen. // Ich weiß nicht, / wo ich ende, / wo das Dunkel beginnt“. Emotionen werden nur angedeutet; gerade dadurch aber entsteht im Leser eine eigene Welt, eine Reihe an Gemälden, die vielleicht helfen, sich und seinen Standpunkt zu überdenken.
Hin und wieder wird die einfache Sprache durch Wortspiele aufgebrochen wie in dem Gedicht „Herde“: Die Schafe, die gleichzeitig Allegorie für den Menschen sind, „geben widerwillig die Wolle her“ und „scheren“ sich „um nichts“. Auch auf S. 66 spielt der Autor auf sehr gelungene Weise mit Redewendungen, Wortbedeutungen und Konvention: „Ich wasche meine Hände / in Unschuld, vom Munde / reiß ich mir das Blatt und / trete auf die Dornen, rede / silbern, klinge wie Blech“.
Eingerahmt wird der Band durch mehrere Bilder, die allerdings, anders als die Gedichte, einen sehr unterschiedlichen Stil aufweisen.