Sue Bechert - Was ich (zu) Jenny Schon zu sagen habe und Sue Bechert: Auf der Suche nach der Blechtrommel

Was ich (zu) Jenny Schon zu sagen habe:
Habe mich heute wieder einmal über deine Texte auf der Geest-Verlags Seite gefreut („Er war sperrig“ … in memoriam Günter Grass / 13. April 2015 sowie „Nicht Stein auf Stein“ … zum heutigen Gedenktag des Mauerbaus).
Habe mich über dich gefreut, dass es da jemanden gibt, die ihre kämpferische Ader beibehalten hat, ohne sich dabei in Schwarz-Weiß-Malerei zu verlieren, die weitsichtig vor- und zurückblicken kann, die verstehen und auch (manches) verzeihen kann.
Circa zwei Jahrzehnte nach dir auf die Welt gekommen, hatte ich das Glück, in meiner Jugend auf starke Frauen wie dich zu treffen, die mir als schüchternes Mädchen das Rückgrat gestärkt, die mich durch meine Emma-Kalender-Jahre mitgetragen haben, und denen ich so verdammt viel zu verdanken habe.
Sperrig? Na und … ab und zu stolpern hat noch niemandem geschadet ; )
Darmstadt, 13.08.2016 Sue Bechert
 

Sue Bechert

Auf der Suche nach der Blechtrommel
Wortkarg sitzen wir am Frühstückstisch. Die Ruhe nach dem Sturm der Kinder auf den Schulbus macht schon wieder müde. Die Kaffeemaschine rebelliert lautstark gegen die Verkalkung, der Opa leise, indem er sich das Kreuzworträtsel der Tageszeitung gegriffen hat.
Den Rest der Zeitung haben wir beide uns im stillschweigenden Einvernehmen aufgeteilt: Du die Politik und Wirtschaft, ich erst einmal den Kultur- und Lokalteil sowie den Witz des Tages, der wieder nicht lustig ist. Die Sportseiten hängen an Opas Kreuzworträtsel. Danach der Blättertausch.
Endlich ist der Kaffee durchgelaufen. Entkalker schreibe ich auf den Zettel neben meinem Teller.
»Europäische Münze mit vier Buchstaben?« Opa blickt fragend von seinem Rätsel auf.
»Euro oder Cent«, meine ich und füge meiner To-do-Liste noch Geldautomat hinzu.
»Könnte aber auch Mark sein«, überlegt Opa. Wir beide schauen uns an.
»Mark ist doch nicht mehr. Lass mal sehen, ob wir ein Wort in der Senkrechten finden, das passt«, versuchst du zu helfen.
»Hmm, eine Schollenart ist doch Butt? Oder hat sich das auch geändert?«, fragt Opa verunsichert.
»Ne, Butt ist immer noch Butt«, bestätige ich.
»... also ist es Cent«, freut sich Opa und wir nehmen unsere Zeitungslektüre wieder auf.
»Oh Shit, Grass ist gestorben – mit 87«, verkünde ich betroffen.
»Wer ist gestorben?«, fragt Opa.
»Günter Grass, der Schriftsteller. Hat auch mal den Nobelpreis für Literatur bekommen.«
»Ach so der, den kenn ich nicht!«
»Doch, natürlich kennst du den – hast dir sogar ein Autogramm von ihm in die Blechtrommel schreiben lassen, vor ein paar Jahren, als wir das letzte Mal mit dir auf der Leipziger Buchmesse waren.«
»Ach ja, die Blechtrommel – wo ist die denn eigentlich hin? Damit konnte man immer so schön lärmen!«
»Bestimmt bei den anderen alten Spielsachen auf dem Dachboden«, kapituliere ich und vertiefe mich in den Artikel über Grass.
Als ich danach die News aus Politik und Wirtschaft mit der zweiten Tasse Kaffee hinunterspüle, schnürt sich meine Kehle immer weiter zu.
»Hast du das auch gelesen?«, frage ich schmerzlich amüsiert in deine Richtung, »nach knapp 10-jähriger Amtszeit sucht die Bundeskanzlerin nun endlich den Dialog mit den Bürgern. Vor ein paar Wochen hatte sie in Japan noch einem Roboter die Hand geschüttelt.«
»Vielleicht war das auch nur eine Szene aus der Neuverfilmung vom Raumschiff Orion mit Merkel in der Rolle von Eva Pflug? Würde mich nicht wundern, wenn die NSA das der dpa für bare Münze verkauft hat«, spekulierst du.
»So ein Quatsch«, meint Opa. »Raumschiff passt nicht, Ufo ist ein unbekanntes Flugobjekt.«
Im Wirtschaftsteil ein Bericht über den Minirock als Indikator für Konjunktur mit ansprechendem Foto dazu. Fast hätte ich die Randnotiz übersehen, in der steht, dass in der EU jeder Fünfte unter 25 Jahren arbeitslos ist.
»Das ist mal wieder typisch«, wettere ich drauf los und halte die entsprechende Seite gut sichtbar für meine Männer in die Höhe.
Opa schaut interessiert auf das Minirock-Mädchen.
»Wieso? Ist doch ganz nett anzuschauen!«
»Ja, genau ...«, antworte ich gereizt, »... das belegt meine Theorie: Wenn einem so viel Schönes präsentiert wird, wer schaut denn da noch nach rechts oder links?«
Du schaust amüsiert in meine Richtung und reichst mir den Kulturteil zurück. »Komm, du hast ja Recht. Aber reg dich nicht so auf. Lies lieber noch ein bisschen im Feuilleton, damit du wieder runter kommst.«
Genau das Gegenteil tritt ein. Ich spüre die Wut noch stärker in mir aufsteigen, fange bereits an zu kochen, obwohl wir noch nicht einmal das Frühstück beendet haben. Die ganzen Meldungen zu der Herdprämie, der ausreichenden Versorgung mit klassischen Kraftwerken ... - was gestern noch von schablonisierten Zeitungen in fetten Lettern als Wahrheit in die Welt gepresst wurde, wird heute schon wieder in einer kleinen Notiz über den Haufen geworfen. Und die Verbote von heute werden zu Geboten von morgen.
Angewidert schleudere ich die Seiten auf den Tisch und stehe abrupt und entschlossen auf. Vier Augen starren mich an.
Die Kirschmarmelade von meiner angebissenen Brötchenhälfte drückt durch das Zeitungspapier und fügt dem »Selbstbildnis mit Butt« von Grass einen blutenden Fleck auf der Stirn zu. Gleich wird er ins Grab fallen.
»Komm, Papa, es ist allerhöchste Zeit: Wir suchen jetzt deine alte Blechtrommel ... .«