Svea Marie Sieve: Frei ohne Vogel


Frei ohne Vogel

Ich sah in den Himmel und erblickte Flugzeuge.
Mein Herz begann rasant zu klopfen, meine Haut zu perlen, mein Verstand dahinzuschmelzen. Ich atmete und atmete wiederum nicht. Keuchte. Schnappte nach Sauerstoff.
Zwei an der Zahl flogen sie in die Richtung, in die ich auch fuhr. Ihre Kondensstreifen belegten meinen Rachen und füllten meine Lunge, bis sie es nicht mehr fassen konnte.
Eiskalter Whiskey auf ex. Es brannte. In mir. Vor meinen Augen. Auf mir. Doch Gänsehaut rang mit dem Brand. Kühl wurde mein Gesicht, als erneut Perlen runterkullerten, meine ohnehin schon platzenden Lungenflügel durch Schluchzer strapaziert.
Der Waggon ruckelte und ich zuckte stärker als die Blitze eines Sommergewitters, ließ mich völlig entladen wieder nieder.
In meiner Erinnerung heulten die Sirenen los, schnell aufeinanderfolgendes Knallen machte mich taub. Es roch streng nach eiskaltem Whiskey, eiskaltem Whiskey, in einen Autotank gekippt und angezündet, während sie auf mich zukamen, wild fuchtelnd, verzerrt, verschwommen durch aufziehende Schwaden einer verlorenen Perspektive. Wie ein Pfeil trafen mich die Schultern der verstörten Menschen immer und immer wieder. Die Berührung ätzte sich durch meine Knochen.
„Ist alles in Ordnung bei Ihnen?“, fragte eine friedlich aussehende Frau. Ihre perfekt manikürten, langen Finger hielten mein Schulterblatt, mein Schlüsselbein auf der anderen Seite. Ich sah auf meine Finger. Verkrümmt, rau, einer fehlte. Blutrot in meine zerkratzte Handfläche gebohrt.
„Wie? Ja, alles in Ordnung“, stammelte ich.
Wir standen. Ich verließ meinen Platz und trat aus der rauchig sauberen Waggonluft hinein in eine Wolke aus Abgasen.
Wie unangenehme vergangene Momente heulte mir der abfahrende Zug hinterher.