Thomas Bartsch mit Rezension zu Holger Küls Band 'Kumulus aus Nordwest'
„Kumulus aus Nordwest“, Wolkengebilde über der Nordsee: nordische Kargheit, tiefe Charaktere und eine Mischung aus Melancholie und authentischer Lakonie – bereits der Titel dieses eindrücklichen Lyrikbandes von Holger Küls weckt Assoziationen, die im Sprachstil und in der Stimmung der Gedichte thematisch und szenisch wiederkehren.
Der Autor reduziert und verdichtet Gefühltes, Geschehenes, Personen, Naturimpressionen und Gegenständliches in einer Form, die sich zunächst leicht lesen und bildhaft aufnehmen lässt, deren Symbolik jedoch lange nachschwingt und tief berührt. Indem der Autor Alltägliches aufgreift, schlägt er eine Brücke zum Erinnerungs- und Assoziationsraum der Leserin und des Lesers. Dabei entsteht, wenn man sich einlässt, geradezu unmerklich ein Dialog, der im gemeinsam Vertrauten fortwirken kann. Dieses Phänomen weist auf eine hohe Qualität der Texte hin. Was besonders anrührt: die weiche Grundhaltung der Betrachtung, der empathische Bezug zu Personen, Landschaften, das feine Gespür für das scheinbar Einfache und Beiläufige, für die tiefere Bedeutung von Mikroszenen.
Auch die Echos des Gewesenen, das Bleibende in der Erinnerung bewegen: ob es der frühere Streit der Eltern ist, die Handschrift der Mutter auf Weckgläsern, das Fehlen von Schuhen im Flur, die an bessere Tage erinnernden Fotos im Regal … Was vorbei ist, ist nicht vorbei. Es lebt weiter in der Rückschau, im Nachklang, findet Gestalt im Wort, wird im Hier und Jetzt wieder erfahrbar und teilt sich lebendig mit.
Der Autor bedient sich nicht einer abstrakten, intellektualisierenden Metaphorik; ihm gelingt es, Vielschichtiges skizzenhaft, sprachlich wie getupft zu beschreiben und in einer Art auszudrücken, die einen leichten, unangestrengten Zugang schafft. Diese Sprachkunst, spielerisch fokussierend zu bahnen, zu erweitern und zu vertiefen, durch unprätentiöse Hinweise kleine Erfahrungsmomente auf eine höhere Bedeutungsebene zu heben, verdient Beachtung. Inhaltlich geht es um Kindheitserinnerungen, Landschaftsmotive, dörfliche Melancholie, Beziehungsszenen, das Ineinandergreifen und Verschwimmen von Zeitebenen.
Kapitelthemen werden durch Haikus eingeleitet. Alle Abschnitte durchzieht verwebend eine Grundstimmung, die trotz textlicher Konturierung von meist matten, pastellartigen Tönen geprägt ist. Über das Gegebene, Erfahrene und Erinnerte hinaus bleibt Raum dafür –
„Wie es sein könnte
An einem See sitzen,
der das Blau spiegelt.
Am Ufer Birken, Kiefern.
Zusehen, wie zwei Schwäne
durchs Wasser gleiten.
Überlegen, was wir sagen wollen,
aber nicht müssen.“
Ich wünsche dem Band viel Erfolg!
Thomas Bartsch, September 2021