Vanessa Glück 1 m² (wenn die hoffnung zuletzt stirbt)

Vanessa Glück, 18 Jahre, Saalfeld
1 m² (wenn die hoffnung zuletzt stirbt)

ein großes t auf blauem untergrund.
der lange strich weiß, der obere balken rot. t wie träume, t wie trau dich
oder wohl eher t wie tu dir selbst einen gefallen und ver-such's gar nicht erst, denn das hier ist eine sackgasse.

doch ich schätze, das, was unmöglich schien, hatte mich schon immer am meisten gereizt.
und während ich so vor der dunklen gasse stehe, fühle ich mich fast, als würde ein unsichtbares publikum mit ange-haltenem atem auf meine entscheidung warten.
wie in einem horrorfilm, wenn die hauptfigur nachsehen will, woher das geräusch kam und man sie am liebsten pa-cken und durchschütteln möchte, "wie kannst du nur so dumm sein, dich selbst ins unglück zu stürzen?"
tja ... letztlich ignoriere auch ich die stimme der vernunft und biege in die sackgasse ein.
oder vielleicht sind es vielmehr meine gedanken, aber wahr-scheinlich ist das an diesem punkt irrelevant.

die uhr schlägt.
(oder ist es mein herz?)
und mit jedem schlag geht eine sekunde vorüber.
und mit jeder sekunde, die vorübergeht, droht die stille der gasse eine weitere sekunde, mich zu erdrücken.
wer hätte gedacht, dass stille so ohrenbetäubend laut sein kann?
niemand ist hier und doch spüre ich sie mit jeder faser mei-nes körpers; diese abwesenheit. gemeinsam mit meiner hoffnung laufe ich durch die menschenleere gasse – und vermutlich hat die leere einen guten grund.

mein herz schlägt. (oder ist es die uhr?)
und mit jedem schlag scheint die gasse einen zentimeter enger zu werden.
und mit jedem zentimeter, den die gasse enger wird, bleibt einen weiteren zentimeter weniger platz für meine hoff-nung.
und so schrumpft sie stück für stück zusammen.
sie schrumpft
und schrumpft
und schrumpft.

vor mir laufen optimismus und pessimismus hand in hand; ein seltsam gegensätzliches paar. der eine läuft entschlos-sen auf das ende der sackgasse zu, der andere will ihn über-zeugen, umzukehren, läuft aber dennoch mit, als könnten sich die beiden einfach nicht trennen.
wenn sie sich bei einem glas wasser darum streiten, ob es halb voll oder leer ist, frage ich mich, was der optimist in der sackgasse anderes als einen sinnlosen weg ohne ausgang sieht.

doch irgendwie verstehe ich ihn auch.
schließlich umklammere ich selbst das letzte stück hoff-nung, für welches in der enge der gasse noch gerade so platz ist, halte es fest in meinen armen und renne mit ihr vor den tatsachen davon.
ich bin so fokussiert darauf, mein ziel zu erreichen, dass ich nicht mal bemerke, wie die wände der sackgasse stets näher rücken und meinen sehnsüchtigen blick in die ferne begren-zen.
stur renne ich weiter, weiter und weiter
bis mir die realität irgendwann ein bein stellt und mich zu fall bringt

und mit mir die hoffnung.
ihre schreie (oder sind es meine?) hallen von den nur noch wenigen zentimeter entfernten wänden wider.
zeitgleich sticht die realität sie grausam nieder. blutend liegt sie am boden, sieht mich panisch an.
ich halte sie tröstend in den armen, aber weiß, dass ich nichts mehr tun kann. sie ist blass und kalt, ihr gesicht schmerzverzerrt.
ich bin den ganzen weg gerannt und doch hat es nicht ge-reicht. ein letzter atemzug, während das leben langsam aus ihr entweicht.
und plötzlich wird mir die ausweglosigkeit dieser situation bewusst. hieß es nicht immer, die hoffnung stirbt zuletzt?

insgeheim wusste ich die ganze zeit, was mich am ende der sackgasse erwarten würde und doch enttäuscht es mich nicht weniger.
die scheibe ist glasklar, aber fest wie beton.
mein ziel befindet sich direkt vor mir: sichtbar und doch unerreichbar.
war ich tatsächlich so naiv, mir selbst einzureden, für mich würde das sackgassenschild nicht gelten?
dachte ich wirklich, am ende könnte ich einfach weiterlaufen und auf wundersame weise doch am ziel ankommen?
offensichtlich ja, denn hier stehe ich nun.
von der hoffnung gebannt, die gefahr nicht erkannt, bis zum umfallen gerannt.
erst jetzt bemerke ich das rot, das warnend leuchtende rot, das an meinen händen klebt.
erst jetzt bemerke ich die näher rückenden wände; platz-angst hatte ich zuvor nur selten erlebt. doch jetzt stehe ich eingeengt auf 1 m².
1 × 1 meter
1 × 1 täter
1 × 1 uhrenschlag später und alles war umsonst.

1 × 1 meter glas.
das ist es, was ich erreicht habe.
wahrscheinlich wäre es klüger wegzuschauen, aber ich kann nicht anders als hinzusehen. scheinbar genieße ich den schmerz.
und so beobachte ich sie durch mein kleines fenster.
ich sehe sie lachen, tanzen, sich in den armen liegen – ich sehe sie leben.
und alles, was mich von ihnen trennt, ist diese verdammte, einseitig verspiegelte scheibe. egal wie sehr ich winke und rufe und SCHREIE ... niemand bemerkt mich.
ich bin nichts als ein geist und wenn ich nicht real bin, dann ist es das alles wohl auch nicht. lediglich eine illusion, die mich von der wirklichkeit ablenken sollte, mich aber umso mehr daran erinnert, was mir fehlt.
der bittersüße geschmack davon, was hätte sein können.