wenn ich nicht dichte ersticke ich … / Jenny Schon

wenn ich nicht dichte
ersticke ich…
für Hölderlin (20. März 1770 - 7.Juni 1843)


von klippe zu klippe
geworfen
schon in der kindheit
nahmen die
Verletzungen überhand

der eigene wille
zerschellte an den
pflichten zum überleben
kinder müssen
gehorchen

die väter hatten
auch gehorcht und
badeten im schweiß
ihrer angst als sie
die trümmer wegräumten

auch die frauen hatten
gehorcht und gebaren
Kinder für die große
liebe war wenig zeit
sie taten ihre pflicht

schläge an den kopf
hiebe auf rücken und
po der lehrer kommt
mit dem lineal die kinder
halten ihre finger still

oh selige genien
ihr wart hoch droben
über dem Neckar
wo ich mich
bei der tante erholte

an der kleinen Ammer
aß ich ein eis meine
sehnsucht nach den
wörtern zu stillen

am wehr stauten sie sich
schon als kind rettete
mich mein schweigen
und ich schrieb -
wenn ich nicht dichte
ersticke ich

 

 


  Ich besuchte im Frühjahr 2016  Hölderlin erneut in seinem Turm am Neckar…als Kind war ich in den fünfziger Jahren mehrmals bei einer Tante in Esslingen am Neckar in Ferien.
Ammer – Nebenfluß des Neckars bei Tübingen.
Mein Gedicht bezieht sich auf die beiden Hölderlin-Gedichte: „Hyperions Schicksalslied“ und „Da ich ein Knabe war…“