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Die konkrete Antwort blieb Harms schuldig. Hintergrund: Erst kürzlich sei er durch den jetzigen Einrichtungsleiter Hans Schröder in den Besitz der Aufnahmelisten des damaligen Krankenhauses Kückens gelangt, so Harms. Diese gelte es nun auszuwerten und mit den noch vorhandenen Krankenakten aus Wehnen abzugleichen.
Harms möchte die Frage beantworten, ob damalige Patienten aus Berne bewusst und gezielt in die Todesklinik Wehnen verlegt wurden. „Die hohe Todesanzahl des Krankenhauses Wehnen impliziert die Frage nach der Herkunft der sogenannten Patienten“, erklärte Harms seinen Ansatz. Er ließ aber wenig Zweifel daran, was nach Wehnen verlegte Patienten dort erwartete: Vernichtung sogenannten lebensunwerten Lebens – von Zwangssterilisation über gezieltes Verhungernlassen psychisch beeinträchtigter Patienten bis hin zur Verbrennung. Gaskammern seien laut Harms keine militärische, sondern eine medizinische Erfindung.
Anhand von Dokumenten und Fundstücken beschrieb Harms detailliert die Vorbereitung und Durchführung der sogenannten Euthanasie zum Zwecke des vermeintlichen Blutschutzes und wies zugleich auf eine sprachliche Aktualisierung hin: „Der Begriff ,Euthanasie‘ ist eine Erfindung der Nazis und bedeutet in seiner Herkunft etwas ähnliches wie ,Schöner Tod‘. Um diesem Euphemismus nicht zu unterliegen, verwenden wir heute das Wort ,Krankenmord‘“, erklärte Harms und sieht als Motivation der Nazis dahinter „auch die Einsparung von Pflegekosten“.
Laut seiner bisherigen Auswertungen vermutet Harms, dass das Krankenhaus Kückens keine maßgeblichen Funktion in der Geschichte des Krankenmords zukam. Zwar berichtete Harms von der 79-jährigen Rebecca B., die 1939 wegen Altersdemenz von Kückens nach Wehnen verlegt wurde und dort sechs Monate später verstarb, auch seien bereits fünf weitere Fälle aus Berne stammender Patienten in Wehnen dokumentiert. Es sei aber noch fraglich, ob diese zuvor im Krankenhaus Kückens behandelt wurden. Bekannt sei jedoch der Fall eines Patienten, der 1941 mit einer psychischen Störung im Krankenhaus Kückens aufgenommen und von dort 1949 als geheilt entlassen wurde.
Ob die Frage nach der Berner Krankenhaus-Geschichte in dieser Zeit hinreichend beantwortet werden kann, ist laut Harms offen: Hierzu seien offizielle Forschungsaufträge vonnöten. Bislang existiere noch keine komplette Aufstellung aller medizinischen Opfer aus dem Landkreis Wesermarsch, auch die Geschichte des Gesundheitsamts Brake sei noch nicht erforscht.