Zum Tode von Marianne Semnet

Zahlreiche Beileidskundgebungen von Autoren gingen am gestrigen Tag nach dem Bekanntwerden des Todes von Marianne Semnet bei uns ein. Autoren und Freunde, die Erwin, dem Mann von Marianne, ihr Beleid kundtun wollen, können dies unter folgender Adresse:

Erwin Semnet, Sandforter Straße 9, 49086 Osnabrück

 

In Gedenken an Marianne stellen wir an dieser Stelle die Schlusssätze ihres Buches vor, in denen sie selbt eine Bilanz ihres Lebens zieht.

Marianne Semnet - Bilanz eines Lebens (aus ihrem Buch Meilensteine - Ein Leben im Widerstand)

Wenn ich heute sehe, wie viel Anteilnahme und Engagement unsere Gedenkstättenarbeit im Gestapo-Keller gerade bei jungen Leuten auslöst, muss ich oft an Tante Elli denken. Sie ist ihrer politischen Überzeugung und ihren moralischen Grundsätzen auch in den schwersten Zeiten des Widerstandes, trotz Krieg, Gewalt, Tod und Verfolgung immer treu geblieben und hat immer dafür gekämpft, dass sich ein solches Grauen niemals mehr wiederholen kann. Noch auf dem Totenbett, mit einem schweren Krebsleiden daniederliegend, waren ihre letzten Worte: „Ihr dürft diese Zeit niemals in Vergessenheit geraten lassen!“.
Tante Ellis unerschütterlicher Glaube an den Sieg der Gerechtigkeit und an ein Leben in Frieden und Freiheit, ohne Not und Hass, ist mir immer gegenwärtig geblie¬ben und war mir gerade in schweren Zeiten oft Vorbild und Trost. Ebenso unauslöschlich in der Erinnerung geblieben sind Großmutters Leiden und Tränen und ihr großer Kummer über all das Unglück, welches Krieg und Verfolgung über ihre Kinder gebracht haben. Oft denke ich heute noch an das schwere Leben meiner Mutter, die dem politischen Kampf alles untergeordnet und geopfert hat, bis zur Selbstaufgabe immer solidarisch zu meinem Vater stand und schließlich dennoch resigniert und einsam starb.
Und dann ist da mein Vater, den ich erst gar nicht kannte, der mir meine ganze Kindheit über so fremd war, der aber schließlich mein Leben durch seine politischen Arbeit mehr geprägt hat als irgendwer sonst und dessen Vorbild mich erst zu dem durch und durch politischen Menschen werden ließ, der ich bis heute bin. Sein lebenslanger Kampf und sein elendes, langes Sterben zwischen Ost und West, zwischen Hoffen und Resignation, zwischen dem Idealbild einer kommunistischen Gesellschaft und der brutalen Realität des Kalten Krieges bleiben für immer untrennbar mit meinem eigenen Lebensweg verbunden. Wer hat schon historisch aufgearbeitet, was das Fußvolk in allen Zeiten gekämpft, gelitten und eingebracht hat?
Und dann mein Großvater, sein unermüdlicher Einsatz für die Arbeiterbewegung vor und während des Ersten Weltkriegs und während der politisch so stürmischen Jahre der Weimarer Republik. Er hat mich immer dann, wenn mich der Mut verließ, motiviert, weiterzuarbeiten und das Werk, das er und viele andere vor über hundert Jahren begonnen haben, nicht aufzugeben sondern, weiterzuführen. In einem Aufruf der Alfelder Gewerkschaftsbewegung von 1908, in dem um Spenden für den Bau des Alfelder Gewerkschaftshauses gebeten wird und den mein Großvater als einer der Mitorganisatoren des Projektes unterzeichnet hat, fand ich am Ende des Textes folgende Worte von ihm: „... und nun Genossen frisch ans Werk, zeigt erneut, was Einigkeit vermag und die Mit- und Nachwelt wird unser Werk zu würdigen wissen ...“