26.11.2018 - aktuelle Autorin - Gisela Breidenstein
Gisela Breidenstein
1933 geboren, Oberstudienrätin i. R., lebt in Osnab-rück, schreibt Lyrik und Kurzprosa. Veröffentlichun-gen: ‚Wandelstern’, Gedichte, Czernik-Verlag/Edition L (1992), ‚Taubenflügel auf blauer Kugel’, Gedichte, Czernik-Verlag/Edition L (2003), außerdem in Anthologien, Zeitschriften, im Rundfunk und im Internet. Preisträgerin regionaler literarischer Wettbewerbe 1974 und 1994. Vertont von vier Komponisten: Jens Erdmann, Peter Florian, Harald Heilmann und Peter Koch.
Breidenstein, Gisela: Sie Spiegelgalerie. Kurze Prosa
ein kleiner Leseauszug:
Der Wegwerfer
Ein Mann liebte es, wenn er eine Tube oder Flasche aufgebraucht hatte, die leere Hülse wegzuwerfen.
Er freute sich an dem Gefühl, etwas fallen lassen zu dürfen. Seit es Container für Glas gab, ließ er lustvoll leere Flaschen durch die Öffnung sausen und genoss das Klirren, wenn sie aufschlugen.
Das führte so weit, dass er auch Behälter wegwarf, die noch gar nicht ganz leer waren.
Wenn er über eine Brücke ging, war er in Versuchung, seine Tasche über das Geländer fallen zu lassen.
In der Kirche auf der Empore musste er an sich halten, das Gesangbuch nicht über die Brüstung rutschen zu lassen. Das Aufschlagen des Buches unten im Kirchenschiff hätte ihm gefallen, aber er beherrschte sich. Im Konzert ließ er manchmal heimlich seine Garderobenmarke fallen. Das konnte ja jedem passieren und war nicht so laut.
Durch seine Gewohnheit, immer wieder irgend etwas fallen zu lassen, kam es schließlich häufiger vor, dass ihm die Dinge ganz von selbst aus der Hand glitten. Es gab Tage, da konnte er nichts mehr festhalten. Was er auch in die Hand nahm, fiel wieder heraus. Es kam so weit, dass er manchmal die Empfindung hatte, er müsse die Dinge sofort loslassen, um sich nicht daran zu verbrennen. Oft blieb er auch bei Tage im Bett liegen, um nichts handhaben zu müssen. Er nahm zu und fühlte nun die Schwere seines eigenen Körpers, der ihm zur Last wurde; nur im Bett fühlte er sich leicht und geborgen unter der Daunendecke, die er bis zum Kinn hochzog. Er konnte sich nicht mehr versorgen und dachte darüber nach, wie er sich entsorgen könnte.
Eines Tages hatte er einen Einfalt. Er schleppte sich zum Fenster, öffnete es und stieg mit großer Anstrengung auf das Fensterbrett. Er ließ sich einfach vornüberfallen.
Pressestimmen
„Die Ordnung der Gedichte folgt dem Jahreskreis, so dass der Reihe nach frühlingshafte, sommerliche und schließlich verschneite Töne angeschlagen werden. Die warmen Monate sind mit Partnerschaft und Liebe assoziiert. Am frostigen Anfang und Ende wechselt Gisela Breidenstein in geradezu kosmische Perspektive: Auf die titelgebende ‚blaue Kugel‘ des Erdballs aus dem ersten Gedicht blickt sie im zweiten Text gar mit den Augen von Astronauten. Hier haben dann klirrend abstrakte Fragen wie das Verrinnen der ‚Tropfenden Zeit‘ ihren Ort. Wo es um Krieg und Umweltverschmutzung geht, herrscht forcierte Deutlichkeit: In expressiver Apokalyptik konstatiert die Autorin, dass ‚der Mensch die Tauben schlachtete‘. Schöne Bilder glücken Gisela Breidenstein bei der Beschreibung von Alltagssituationen, etwa wenn ein zerknülltes Papier ‚hüpft wie ein kleiner Vogel, der fliegen lernt‘.“
Neue Osnabrücker Zeitung
„Kritisch betrachtet die Autorin den Zustand der Welt … Oft führt sie die Schönheit der Natur vor Augen, um anschließend ihre Sorge um den Verlust dieses ganzen Reichtums um so deutlicher auszusprechen, so dass eine Brechung entsteht, die den Leser betroffen macht … Neben Gedichten von visionärer Dimension stehen erfrischende und Zuversicht vermittelnde Texte.“
Lahn-Zeitung
„Die breite Themenpalette, von kraftvoll ausdrucksstark bis hin zu Texten spielerischer Leichtigkeit …, macht den besonderen Reiz dieser Lyrik aus: Ein poetischer Kosmos von Bildern, die sich einprägen.“
Rhein-Zeitung
„Ihre Gedichte sind thematisch vielseitig: In ihnen finden Themen über Umweltzerstörung, Liebe und Vergänglichkeit Raum. Ihre Gedichttexte thematisieren offen zeitpolitische Probleme … und die Liebesgedichte Gisela Breidensteins sind offen, voller Zärtlichkeit und Wehmut.“
Nordwest-Zeitung