28.08.2020 - aktuelle Autorin - Christa Degemann


 


Christa Degemann

1946 in Krefeld geboren, lebt seit dem Stu­dium (Lehrerin/Diplom-Pädagogin/Doktorin der Philosophie) im Münsterland. Verheiratet, zwei Söhne.
An den Hochschulen in Münster und Paderborn arbeitete sie in den Fächern Deutsch und Soziologie in der Lehrer­ausbildung. Tätigkeit an Gesamt­schu­len im Ruhrgebiet und  langjährige Abteilungsleiterin in der Schulleitung der Anne-Frank-Gesamtschule Havixbeck.
Heute führt sie für die VHS Schreibwerkstätten und Literaturkurse durch.
Verschiedene wissenschaftliche und literarische Veröffentlichungen.

Im Geest-Verlag erschienen: Wenn Hans kommt ...

„Vermisst!“ – Das ungewisse Schicksal von mehr als einer Million deutscher Soldaten, deren letzte Lebenszeichen im Zweiten Weltkrieg aus dem Osten kamen, bewegt auch heute noch. Die Suchdienste erhalten immer wieder Anfragen von Nachgeborenen, die den Verbleib von Vätern, Brüdern, Großvätern und Onkeln klären möchten und sich wenigstens den tröstlichen Hinweis auf ein Grab erhoffen.
Die ungeklärten Schicksale bedeuten oft eine lebenslange trau-matische Erfahrung für die Hinterbliebenen. Kinder oder Enkel können diese Erfahrungen ‚erben'. Psychologen sprechen von einer transgenerationalen Weitergabe.
Die Geschichte ‚Wenn Hans kommt' erzählt von einem derartigen Trauma. Hans wird gleich zu Beginn des Zweiten Weltkrieges  Soldat. Die Schwester, Gertrud, unterhält einen intensiven Brief­ver­kehr mit ihrem Bruder, von dem sie eines Tages keine Antwort mehr erhält. Doch sie und ihre Kinder suchen und hoffen immer weiter.
Eine ergreifende und zugleich an vielen Stellen heitere Geschichte, spielt sie doch im Rheinland, in Krefeld am linken Niederrhein, wo die Men­schen dem Leben auch in schweren Zeiten komische Seiten ab­trotzen. Und letztlich auch eine tröstliche Geschichte, da Gertruds Kinder ein gemeinsames Lebensziel gefunden haben: Nie wieder Krieg!

Auszug aus: Wenn Hans kommt

Armselige Zeiten. Und dabei hatte sich doch die Ehe mit dem zielstrebigen und  fleißigen Heinrich so gut angelassen. Lange schon kam er mit dem Pferdefuhrwerk nach St. Tönis und brachte Getränke für den Weiterverkauf in das Molkereigeschäft an der alten Mühle. Schließlich sagte er eines Tages: „Dieer, ech mot ens en paar Wörtsches möt dech spreäke!“  Katharina war darauf gefasst gewesen, denn immer, bevor er kam, zog sie schnell die frische weiße, gut gestärkte Schürze über, die sie schon bereit gelegt hatte. Ein Glück, dass die Eltern jetzt zusätzlich Selters und Limonade verkauften. Sonst wäre sie diesem feschen Geschäftsmann kaum begegnet. Mit ihren 29 Jahren war sie schon lange gut gerüstet, um in den Brautstand zu treten. Sie wusste ihre Aussteuerkommode prall  gefüllt, mit langen weißen Leinennachthemden sowie mit Tisch- und Bettwäsche. Besonders die modernen Bezüge in den bunten Indanthren-Farben hatten es ihr angetan. Die mit den blauen Rosen auf weißem Grund waren ihr die liebsten. „Guten Abend, Gute Nacht, mit Rosen bedacht, mit Näglein besteckt, schlüpf unter die Deck' ...“, summte sie, wenn sie eine der Schubladen öffnete, um nach ihrem Schatz zu sehen. Nun war es doch gut gewesen, dass sie den Rat der älteren Schwester beherzigt hatte, ihr nicht ins Kloster zu folgen. „Trinchen“, hatte diese ihr gestanden, „Trinchen, hee is et net suo schüen, wie ech jedeit häb“ .
Das kleine Weihwasserbecken mit der Madonna, das ihr die frisch geweihte Ordensfrau zum Abschied geschenkt hatte, wollte sie mit in den Ehestand neh-men. Im Dorf wurde der Städter mit Misstrauen beobachtet. „Dä Krieewelsche“ , hieß es  verächtlich. „Dä Selders-waaterfritze!“  Und dann brachte er doch tatsächlich bereits zur Verlobung eine Nähma-schine an, ein Geschenk, das es im Dorf traditionell erst zur Hochzeit gab, wenn jemand ene joote Partie  machte. Man war empört. Dieser Angeber!
Und auch bei der Hochzeit ließ er sich nicht lumpen. Nichts wollte er den Schwiegereltern überlassen, das ließ sein Stolz nicht zu. Dafür musste die Brautmutter hinnehmen, dass dä Krieewelsche neben der Verwandtschaft alle Brauereikutscher, die ihn belieferten, ein-geladen hatte, mit den Neuver-mählten im Garten der Brauteltern zu feiern.