Romal Schaffa - Man kann sich die Heimat nicht aussuchen (Jugendliche melden sich zu Wort)

Hördatei: 




Man kann sich die Heimat nicht aussuchen

 

Ich war vier Wochen in
Afghanistan. Dort hatte ich ein ganz anderes Gefühl als in Deutschland. Ich
fühlte mich in Afghanistan wie zu Hause. Dort habe ich meine Heimatleute. Ich
habe mich sehr wohl gefühlt. Ich habe früher in Afghanistan gewohnt, bin aber
dann nach Deutschland gezogen. Die Regierung dort war sehr schlecht, weil die
Armen immer ärmer und die Reichen reicher geworden sind. Mehr als zwei
Jahrzehnte Krieg, Leid und Zerstörung liegen hinter der Bevölkerung
Afghanistans. Und auch die Zukunft im neuen demokratisch regierten Staat
scheint ungewiss. Auf der einen Seite gibt es Wiederaufbau und Modernisierung,
die Menschen genießen mehr Freiheit. Auf der anderen Seite jedoch gibt es
zunehmend Gewalt, unter der das Land leidet.

Die Bildung in Afghanistan ist
schlecht, weil die  Schulen bezahlt
werden müssen. Der Bildungsstand ist sehr gering, doch ist das nicht kulturell
bedingt. In Afghanistan gibt es Privatschulen, die meistens sehr teuer sind.
Die ärmeren Familien können es sich nicht leisten, ihre Kinder zur Schule gehen
zu lassen. Es gibt keine Schulpflicht, so dass die meisten Kinder nur wenige
Jahre oder gar nicht zur Schule gehen. Sie helfen stattdessen das Einkommen der
Familie durch Arbeit aufzubessern. Wenn man als Europäer afghanischen Kindern
bei der Arbeit zusieht, denkt man sofort an Kinderarbeit.

Der Verkehr in Afghanistan ist
auch sehr schlecht, weil es keine richtigen Straßen und keine Straßenlampen
gibt. Auf den Straßen in Kabul geht es unglaublich chaotisch zu. Ein
Durcheinander von Rädern, die sich millimeterdicht aneinander reihen und
manchmal nur im Schritttempo vorankommen. Dazwischen treiben Bauern ihre
Ziegen- oder Schafherden quer über die Fahrbahn, vorbei an neuen und alten
gelb-weiß lackierten Taxis aus japanischer Produktion, deren Fahrer sich stets
erst im allerletzten Moment zu überlegen scheinen, in welche Richtung sie
fahren wollen. Es sind Sammeltaxis mit möglichst vielen Passagieren, die
dadurch für den Einzelnen billiger werden, aber auch ständig unvermittelt
anhalten, um Fahrgäste ein- und aussteigen zu lassen.

Ich habe in Afghanistan ein paar
Städte besucht. Dort gab es nicht viele Leute, weil die meisten in die
Hauptstadt gezogen sind. Ich bin vor vier Jahren nach Deutschland gekommen und
will mich besser weiterbilden. Mein Ziel ist es, später Ingenieurwissenschaften
oder Wirtschaft zu studieren. Danach möchte ich gerne in meine Heimat zurückkehren,
um das Erlernte meinem Land zugute kommen zu lassen.

 

Romal Schaffa ( 16 Jahre )

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