Cordula Scheel - Im Freien
Im Freien
Hochsommer im Norden
ein altmodisch langer Sommer
mit Hummelgebrumm
und Kästners Stockrosen am Zaun
in ihren brüchig-seidnen Trachten
Kraniche sammelten sich zum Aufbruch
ihre Rufe ein Signal des reifen Sommers
Auf Zakynthos beim griechischen Freund
ein Innenhof maurische Bögen
du nimmst kleine Barsche aus
umschwirrt von Wespen
taub gegenüber Manolis Ratschlägen
unwirsche Inseldickköpfe ihr beide
zwei Welten tiefer Spuren
Später der Mond auf dem Meer
Rotwein in kleinen Gläsern
die Wärme vibriert
Heute Nacht kommen
die Seeschildkröten an Land
sagt der Freund
verbergen ihre Eier im warmen Sand
verlassen die gefährdeten
Heisere Vogelrufe –
die Kraniche des Ibikus?
Schillers Ballade wird gegenwärtig
die zerstörte Schule
die Nacht der verschütteten Keller in Stettin
das verlorene Kinderbuch halb gelesen
Erinnerungen – künftige Träume
Wer befreit die Phantome
nährt die Geister der Luft?
Da lösen sich die Gedanken
eingeschlafen im Äskulap-Hain
in Epidauros‘ heiligem Bezirk der Götter
zwischen den Steinen der alten Dormitorien
ein Feld blauer Blumen und
die Spuren der heilenden Schlangen