Dem Frieden näher kommen - Interview mit Reinhard Rakow über die 6. Berner Bücherwochen
Frage: Was bleibt vom Frieden nach den 6. Berner Bücherwochen?
Reinhard Rakow: Vom Frieden in der Welt? Sehen Sie sich die Verteidigungshaushalte an oder Statistiken zu häuslicher Gewalt. Es wäre vermessen gewesen, zu denken, daran könnten die Bücherwochen Entscheidendes ändern. Aber vielleicht bewahrt der eine oder andere nach dem Lesen einer Erzählung, nach dem Hören eines Vortrags die Idee der Friedfertigkeit doch in seinem Herzen und handelt im alltäglichen Zusammenleben danach, hinterfragt künftig militärische „Logik“ und setzt sich ein für Gewaltlosigkeit.
Pastor Krügener aus Hildesheim, einer der Referenten, streitet dafür, inner- und zwischenstaatliche Gewalt genauso zu ächten und zu verbieten wie Gewalt in der Erziehung. Ebenso wenig wie der Rohrstock oder die Tracht Prügel letztes Mittel der Erziehung sein darf, so wenig darf Krieg letztes Mittel von Politik sein. Unser Denken sollte sich vielmehr an der Frage ausrichten: Wie komme ich zu tragfähigen Ergebnissen, ohne draufzuhauen?
Zivile, gewaltfreie Verfahren sind vielleicht anstrengender und zeitintensiver, aber nachhaltiger und dem Menschen würdiger. Wenn man diese Sicht erst einmal verinnerlicht hat, ändert sich der Blick auf die Welt und der Umgang mit ihr.
Ein schönes Beispiel ist das Bücherwochen-Projekt der Oberschule Berne. Hier haben die Schüler sich in die Rolle Gleichaltriger versetzt, die aus Afrika nach Europa fliehen. Anschließend befragt, ob und was sich durch dieses Projekt praktisch für sie geändert hätte, kam als Antwort: „Wir gehen jetzt sensibler miteinander um“.
Oder nehmen Sie die 93-jährige Milda Frebel, die ganze 30 Jahre, bis 1975, gebraucht hat, um die Schrecken des letzten Krieges schreibend zu verarbeiten. Weitere 42 Jahre später findet ihre Niederschrift von 1975 den Weg in unser „Wesermarsch-Lesebuch“, und das Vorlesen im Fischerhaus löst sie auf in Tränen. Nur: Je weiter die Menschen vom unmittelbaren Erleben des Krieges entfernt sind, je jünger sie sind, desto stumpfer und unbefangener begegnen sie im Allgemeinen Krieg und Kriegspielen und Kriegsfantasien. Das muss sich ändern, und alles, was hilft, die Sinne in dieser Richtung zu schärfen, ist ein Gewinn für uns alle.