Dieter Krenz - Das Kind, Luisa und die Wünsche

 Als Luisa wegen der Krankheit daheim bleiben musste, kam das Kind zu Besuch. Luisa hatte vor ein  paar Monaten eine Geschichte vom  Linksverkehr in England erzählt. Die fand das Kind damals sehr lustig. Nun fragte es das Mädchen nach seinem größten Wunsch.

Luisa antwortete: Du weißt, dass mein jüngerer Bruder lange Zeit krank war. Das war sehr schlimm für mich und meine Eltern, besonders in der Zeit, als er im Krankenhaus lag. Ausgerechnet in diese Zeit fiel auch sein Geburtstag. So sehr ich auch nachdachte - mir fiel kein Geschenk ein. Und der Geburtstag kam immer näher. In unserer Nachbarschaft wohnte eine Familie, und der Vater war Ballonfahrer. Ja, Fahrer; ich habe nämlich gelernt, dass man beim Fesselballon nicht von fliegen, sondern von fahren spricht. Als ich den Mann auf der Straße traf, erkundigte er sich nach meinem Bruder. Und wir unterhielten uns eine Weile. Am Geburtstag meines Bruders waren wir bei ihm im Krankenhaus. Das Zimmer lag im obersten Stock; wir konnten weit hinaus auf das Land schauen. Mein Bruder entdeckte ihn als erster. Einen Fesselballon. Er kam immer näher, bis wir auf dem Korb ein Bettlaken mit einer Schrift erkennen konnten. Noch ein bisschen näher kam der Ballon, und Tim las vor, was da stand: Gute Besserung, Tim . Er las es zweimal, dreimal vor. Dann stieg der Ballon in die Höhe und war verschwunden. Tim stand mit zitternden Knien am Fenster und flüsterte immer noch: Gute Besserung, Tim. Mein Papa trug ihn ins Bett und deckte ihn zu. Und dann strahlten wir alle wie Honigkuchenpferde. Das sagt immer meine Omi.

Du hast eine schöne Geschichte von einem tollen Geschenk erzählt, aber nicht von deinem größten Wunsch, meinte das Kind.

Hat nicht jedes Geschenk mit einem Wunsch zu tun?, fragte Luisa zurück.