Dieter Krenz - Erzählungen in der Isolation - der fünfzehnte Tag (Literatur in schwierigen Zeiten)

Laura kam am Nachmittag des fünfzehnten Tages. Laura hatte langes, blondes Haar und war sehr sportlich. Oft lief sie mit den Jungen um die Wette und gewann auch meistens.

 

Meine Geschichte hat sich an Heilig Abend ereignet, begann sie. Am späten Nachmittag fuhren meine Eltern und Großeltern mit mir und meinen Geschwistern in den Wald. Der war nicht weit von unserem Haus entfernt. Im Wald fuhren wir ziemlich lange und meistens bergauf. Nach einer Ewigkeit hielten wir an und stiegen aus. Wir mussten noch eine Weile zu Fuß gehen. Mein Papa ging so schnell voran, dass wir ihn auf einmal nicht mehr sahen. Aber Sorgen machten wir uns nicht. Schließlich kannte er sich sehr gut aus. Wir folgten dem Pfad, auf dem im Schnee seine Fußstapfen zu sehen waren. Mein jüngerer Bruder stöhnte schon: Wann sind wir endlich da. Dabei war er der erste, der es bemerkte. Zwischen den vielen Baumstämmen hindurch sah man einen hellen Schein. "Ein Licht!", rief er und rannte schon los. Er kam aber nur ein paar Meter weit; denn eine Wurzel hatte ihm ein Bein gestellt. Da lag er. Doch statt wie üblich zu jammern, rappelte er sich auf und rannte stolpernd weiter. Wir sahen dann auch das Licht - in einer riesigen Laterne flackerte eine große Kerze. Die Laterne stand auf einem Baumstumpf. Davor war ein Campingtisch mit Kannen und einer bunten Blechdose. Auch Becher waren da. Wir waren alle still und schauten auf den gedeckten Tisch. Mein Papa aber zögerte nicht lange, gab jedem einen Becher und goss aus einer Kanne heißen Tee ein. Dann öffnete er die Blechdose, zeigte jedem den Inhalt und meinte ganz cool: Die Plätzchen sind alle für mich! In dem Moment aber waren wir überhaupt nicht mehr still, sondern riefen gleichzeitig NEIN.

Na gut, sagte unser Papa, dann sollt Ihr auch was haben. Bald standen wir knabbernd und schlürfend um die Laterne und wollten gar nicht mehr nach Hause. Die Geschenke durften noch ein wenig warten.

 

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