Dieter Krenz - Erzählungen in der Isolation - der sechste Tag (Literatur in schwierigen Zeiten)

 Am sechsten Tag kam Bruno, der Nachbarsjunge. Er war selbst auch krank gewesen und konnte deshalb nicht früher kommen.

Ich erzähle Dir vom Regen, sprach er. Im letzten Sommer war es doch wahnsinnig heiß. Jeden Morgen ging ich vor dem Frühstück mit meiner Omi zum Friedhof um das Grab vom Opa zu gießen. Später wäre es zu warm geworden. Die Gräser waren verdorrt und die Blätter der Bäume waren schlapp.

Wir gingen zur Wasserstelle und wollten gerade zwei Gießkannen füllen, als wir ein etwas rauschen hörten. Zuerst dachten wir, es wären Vögel. Aber als wir hoch sahen, fielen zarte Tropfen auf unsere Gesichter. Aus einer kleinen Wolke regnete es herab. Ich jubelte und streckte meine Arme zum Himmel. Auch meine Omi freute sich.

Doch es dauerte nicht lange. Nach höchstens einer Minute hörte der Regen auf, weil die Wolke weitergezogen war und sich dabei aufgelöst hatte.

Trotzdem waren wir glücklich diesen Regen erlebt zu haben. Vielleicht waren wir ja die einzigen gewesen. Wir werden ihn nie vergessen.

Kennst Du den Namen dieses Regens?