Dieter Krenz - Erzählungen in der Isolation - der sechsundzwanzigste Tag (Literatur in schwierigen Zeiten)

Am sechsundzwanzigsten Nachmittag besuchte Steffen unser Kind um es in seiner Isolation etwas aufzuheitern. Steffen trug nur karierte Hosen und hatte immer ein rotes Käppi auf.

„Ich erzähle Dir von der Taschenuhr meines Uropas“, begann Steffen seine Geschichte. (Taschenuhren mochte das Kind sehr. Sie tickten so angenehm, wenn man sie ans Ohr hielt.)

„Mein Uropa war Lokomotivführer - von einer Dampflokomotive. Auch kurz nach dem letzten großen Krieg musste er sie fahren, weil die Menschen Kohle und Nahrungsmittel brauchten. Das war ganz schön gefährlich, weil der Zug öfter von den Besatzungssoldaten angehalten wurde. Die kontrollierten alle Personen, die Waggons und auch das Gepäck. Mein Uropa befürchtete, dass ihm bei einer Kontrolle die goldene Taschenuhr weggenommen würde. Und das wollte er auf jeden Fall vermeiden. Er brauchte also ein sicheres Versteck. Da hatte er eine Idee. Kurz nachdem er sich etwas ausgedacht hatte, wurde der Zug auch schon angehalten. Die Soldaten durchsuchten das Führerhaus der Lokomotive. Auf einem Brett unterhalb eines Lokomotivfensters lag ein verbogenes Messer, ein Stück altes Brot und das zusammengefaltete saubere Taschentuch, in das mein Uropa sein Essen eingepackt hatte.

Nachdem die Soldaten das Führerhaus wieder verlassen hatten und den Zug weiterfahren ließen, nahm mein Uropa den Brotkanten vom Brett. Er puhlte etwas Brot aus dem Kanten - und holte seine Taschenuhr daraus hervor. Die war im Brot versteckt gewesen. Dann meinte er mit einem Blick auf die Uhr, dass der Zug immer noch pünktlich ankommen würde. Das soll er so gesagt haben.“

Wie könnte ein Name für diese Taschenuhr sein?