Dieter Krenz - Erzählungen in der Isolation - der zweiundzwanzigste Tag (Literatur in schwierigen Zeiten)

Der zweiundzwanzigste Tag des Kindes in der Isolation. Nur gut, dass heute Nachmittag wieder jemand von den Freunden vorbeikäme.

Und es erschien die Anna, die schon einen eigenen Fotoapparat besaß und Dinge fotografierte, die andere Kinder nie aufnehmen würden.

Sie kam mit dem Bild von einer eisernen Türe, die mitten in einer alten, hohen Mauer eingelassen war. Ich erzähle Dir die Geschichte von dieser Türe, begann sie. Als ich meine Tante besuchte, ist mir aufgefallen, dass an einer Straße eine sehr lange Mauer mit einer Türe war. Am Anfang und am Ende der Mauer standen hohe Häuser. Man konnte also von keiner Seite aus sehen, was sich hinter der hohen Mauer befand.

An der kam ich am Tag zweimal vorbei, wenn ich mit meiner Tante spazieren ging. Die wusste auch nicht, was sich hinter der Türe verbarg. Die Tür war immer verschlossen. Wir rätselten, ob dahinter ein Schloss oder ein geheimnisvoller Garten wäre.

Am letzten Morgen, an dem ich bei meiner Tante zu Besuch war, war die Eisentüre einen Spalt geöffnet, und an der Mauer lehnten eine Sense und ein Rechen.

Gerade als wir ein wenig näher kamen, wurde die Türe ganz geöffnet. Ein Mann mit Gummistiefeln, einem blauen Arbeitsanzug und einer abgewetzten Mütze trat hervor.

Meine Tante grüßte ihn. Er grüßte freundlich zurück. Meine Tante fasste sich ein Herz und sprach ihn an: "Jeden Tag kommen wir hier vorbei und rätseln, was wohl Aufregendes hinter der Türe sein könnte. "

Der Mann lachte und lud uns ein zur Türe zu kommen. Als wir durch die Türe schauten, war kein Haus, sondern eine große Wiese zu sehen. Am Ende der Wiese standen große Bäume, und in ihren Schatten grasten Pferde.

Der Mann pfiff einmal durch die Zähne. Da löste sich ein schwarzes Pferd von der Herde und kam auf uns zu galoppiert. Ich bekam ein wenig Angst.

Ein paar Meter vor uns hielt es an, schnaubte und schaute uns mit seinen dunklen Augen an. "Darf ich vorstellen, das ist Blacky," sprach der Mann und gab dem Pferd einen Klaps. Das eilte sofort zu seiner Herde zurück. Wir bedankten uns bei dem Mann. Der meinte lachend: "Wofür?"

Findest Du einen Namen für diese Türe?