Geht in die Arbeit: Moritz Rudolph (Artist in Residence in Vechta 2016) mit seinem Essayband über Stadt/Land Vechta

In die Arbeit geht nun der Essayband des diesjährigen Artis in Residence in Vechta, Moritz Rudolph. Seine Essays, die, im Übrigen auch wöchentlich in der OV, der hiesigen Zeitung zu lesen, kreisen um das Verhältnis Stadt-Land. Der Band wird im Herbst 2016 erscheinen und mit einer Lesung vorgestellt werden.

Hier ein kleiner Vorgeschmack:

Ich hatte mich den ganzen Tag in der Stadt herumgetrieben – morgens auf einem
Empfang, nachmittags im Café, abends auf einer Lesung, nachts in einer Kneipe. Alles
sehr angenehm. Das Amüsement des Kulturbetriebs erlaubt Zerstreuung, die ein Gefühl
von Vertrautheit nährt, vielleicht aber auch den Blick trübt. Mit jedem Tag ist mir Vechta
weniger fremd; und mit jedem Tag fällt mir weniger auf. Muss man ein Fremder sein, um
genau hinzuschauen?
Ich hatte längst aufgehört, mir Notizen zu machen, hatte aber auch schon genug und
wusste, dass es ohnehin mühselig sein würde, sie zu ordnen und ihnen einen Text
abzupressen. Die Zeit drängte, bis zur Lesung blieb nicht mehr viel von ihr und ich musste
in Klausur gehen. Also deckte ich mich mit Spaghetti, Brot, Käse, Gemüse und Schokolade
ein, sodass ich meine Hütte nicht verlassen musste, und als das Kaffeemaschinchen
röchelnd seinen Dienst verrichtete, zog ich die Vorhänge zu und meine Notizen der
vergangenen Wochen hervor, um ein paar Essays daraus zu machen.
Zuerst verwarf ich Teile meines Exposés, alles andere wäre unredlich gewesen. Ich hatte
es im Oktober nach Vechta geschickt und nun war es mir seltsam fremd geworden. All die
großen Begriffe, Spekulationen, Theorien und Autoren darin, was sollte ich damit
anfangen? Immerhin, die Kernthese blieb: Dass Stadt und Land sich bis zur
Unkenntlichkeit einander annähern.
Mir wurde schnell klar, dass ich die Lesung mit einer kleinen Enttäuschung beginnen
musste: Ich weiß weniger denn je, was Vechta nun eigentlich ist – ob Groß‐ Mittel‐ oder
Kleinstadt, ob überhaupt Stadt oder Land – vielleicht treffen es „Ladt“ und „Stand“, ein
ununterscheidbarer Brei also, noch am besten. Aber im Zeitalter der Konvergenz, in dem
die Metropole sich ihr Umland einverleibt, galt das wohl ohnehin überall, für jede
Häuseransammlung des Westens – für Berlin Prenzlauer Berg nicht weniger als für
Bietigheim‐Bissingen oder Tambach‐Dietharz.
Vielleicht taugten die Begriffe nichts? Von ihren größten zumindest musste ich mich
verabschieden, sie dienen allenfalls noch als Zitatschmuck und hübsche Spielerei. Theorie
als Ornament – ist das der Abgesang auf die Moderne? Und damit vielleicht dem
vermuteten Ende von Stadt und Land verschwistert?
Ich will nur ein paar Fetzen hinwerfen, Splitter, Essays eben. Angereichert, ja, beherrscht
sogar, von teilnehmenden Beobachtungen, die ich in Vechta gemacht habe und die zur
Stadt‐Land‐Kluft‐Frage vielleicht gar nichts beitragen können. Die Hierarchie hatte sich
umgekehrt. Die Erfahrung frisst den Begriff auf.
Und enthält ihn doch.